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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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warf das brennende Zündhölzchen fort, mit dem er sich eine Zigarette angezündet hatte. Das Flämmchen leckte auf der Erde weiter und brannte eine kleine Grasmulde aus. Iskuhi, die sich nicht von Gabriels Seite rührte, zertrat das gierige Feuer. »Wie trocken ist alles«, sagte sie. Das Zündhölzchen entfachte in Gabriel den verwegenen Gedanken. Er stand eine Weile verloren da. Der Einfall war zweischneidig. Er konnte dem eigenen Volke ebensoviel Schaden bringen wie dem Feinde. Bagradian prüfte mit seinem Taschentuch als Fahne die Richtung des zeitweilig kräftigen Windes. Westwind, Meerwind, der die Zweige talabwärts schüttelte. Die Entscheidung konnte weder der Führerrat noch auch Gabriel allein treffen. Ter Haigasun, das Oberhaupt des Volkes, sollte ja oder nein sagen. Nach einer schweigenserfüllten Minute sagte Ter Haigasun: »Ja!«
    Unterdessen hatte schon die gesamte Kriegerschaft Altarplatz und Stadtmulde verlassen. Atemlos warteten die beiden Überfallsgruppen des Signals. Zwischen dem umlauerten Graben und den Steinschanzen lag noch eine Linie der restlichen Zehnerschaften, hinter den Steinschanzen die ganze Masse der Volksreserve. Dies aber war noch nicht alles. Es muß leider verraten werden, daß Stephan, der seiner Mutter längst wieder durchgebrannt war, sich trotz der unabwendbar nahen Katastrophe in einer äußerst gehobenen Stimmung befand. Das Schleichen und Flüstern im Finsteren, die dichte Nähe so vieler angstgeprägter Körper, das jähe Aufblitzen und Verlöschen wandernder Blendlaternen und hundert Abenteuerlichkeiten mehr wirkten auf Stephans gereizte Nerven wie die Bestätigung einer lustvollen Traumwelt. Dazu kam noch der ganz sonderbare Befehl, den die Jugendkohorte erhielt, und der Stolz, als letzte Brustwehr des Lagervolkes an dem vorläufig noch dunklen Plane teilnehmen zu dürfen. Man wird demnach verstehen, daß sich Stephans und seiner Kameraden Übermüdung in einen erwartungsvollen Rausch verwandelte.
    Der ganz sonderbare Befehl aber bezog sich auf das Petroleum. Alle Petroleumfässer nämlich, die sich auf dem Damlajik befanden, darunter auch die beiden der Familie Bagradian, wurden ohne jede weitere Erklärung auf den Altarplatz gewälzt, und ebenso alles, was bei den erloschenen Feuerstellen an Ästen, Prügeln und Knütteln aufgestapelt war, eiligst herangetragen. Zuerst mußten die Buben, dann die alten Leute, die Frauen und Kinder bis hinab zu neun Jahren sich aus den Holzstößen einen möglichst starken und schlanken Stock holen. Die Lehrer und Samuel Awakian, welche diese Verteilung leiteten, konnten nur mühsam den Ausbruch von Streit und Geschrei verhindern. Sie schlugen mit Fäusten zu und zischten: »Ruhe, ihr dummen Teufel!« Nicht anders verhielt es sich dann bei den Petroleumfässern. Die Äste mußten in die dicke Flüssigkeit bis zur Mitte getaucht und gequirlt werden. Es waren ihrer dreitausend mindestens. Dies kostete sehr lange Zeit. Noch immer drängten sich die Leute um die Fässer, als schon der lange Signalpfiff aufgellte und das Überfallsfeuer auf die von den Türken eroberten Gräben einblitzte. Hundertfach antwortete sogleich das hohle Gepolter aus der Schlucht und ein unaufhörlicher schlaftrunkner Schreckensschrei mischte sich darein, der kaum mehr menschlich heiser war.
    Gabriel Bagradian stand auf einer kleinen Felserhöhung zwischen der Linie und den Steinschanzen. Während des jäh aufknatternden Kampftumults, der sich von jedem andern Angriffslärm bisher vollkommen unterschied, hatte der Befehlshaber in einer Art traumgespannter Versunkenheit kein Wort zu den Leuten gesprochen, die hinter ihm warteten. Einige Minuten vergingen. Die nahen Schüsse krachten dünner. Gabriel konnte es kaum fassen, daß dieser erste Akt des Überfalls so schnell gelungen sein sollte. Doch Tschausch Nurhan gab schon das verabredete Zeichen: Einige leidenschaftliche Licht-Achter mit der Blendlaterne. Der Graben war wieder in den Händen der Verteidiger, die ihn, bei der Verfolgung des Feindes, bergabwärts überrannten. Ein Teil der türkischen Infanteristen verirrte sich in der Finsternis und fiel den nachdrängenden Zehnerschaften in die Hand. Ein andrer Teil lief, stolperte, stürzte der brüllenden Schlucht entgegen und wurde von den Verfolgern durch Bajonettstiche und Kolbenhiebe niedergeworfen. Gabriel Bagradian schickte Awakian zurück zur Reserve: »Fertig und vor!« Er wartete, bis das Gescharre und Geflüster der Menge seinem Standort sich

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