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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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sich aufgemacht und hielten nun den Vorberg besetzt, ohne sich freilich in die Nähe der Schlucht zu wagen. Die Frauen aber standen in den Gärten und auf den Hausdächern, um mit ängstlicher Gier das Wutgebell der Schüsse zu belauschen. Da sahen sie auf einmal, daß die Sonne um ein Uhr nachts hinter dem Damlajik aufging. Scharf trat die schwarze Kammlinie hervor, hinter der es rosenhaft zart erglomm. Diese himmlische Erscheinung, dieses Zeichen und Wunder sondergleichen warf die glaubensbereiten Weiber nieder wie die Ankunft des Jüngsten Gerichts. Und als dann, ein wenig später, der Bergrand zu glosen und zu lodern begann, da wars für eine natürliche Erklärung zu spät. Jesus Christus, der Prophet der Ungläubigen, hatte die Sonne seiner Macht hinter dem Berge aufgehen lassen und die armenischen Dschinns des Musa Dagh schützten im Bunde mit den Kirchenheiligen Petrus, Paulus, Thomas und vielen anderen ihr Volk. Die alte Theorie von den Übermächten, die den Armeniersöhnen beistanden, fand in dieser Stunde die stärkste Bestätigung. Doch nicht nur die unbelehrten Weiber waren von ihr erfüllt. Auch die Mollahs, die im Glockenturm und auf dem Rundgang der Kirchenkuppel von Yoghonoluk dieses Wunder beobachteten, verließen fluchtartig das moscheegewordne Weihtum »Zu den wachsenden Engelmächten«.
    Weniger wunderbar, doch noch weit furchtbarer wirkte die unaufhaltsame Fackelmauer auf die türkischen Soldaten, die sich noch auf den Berghängen befanden. Der Eindruck einer unfaßlichen Überzahl ging von ihr aus, als habe sich die gesamte armenische Nation zu dieser Stunde und an diesem Ort vereinigt, alle Verschickungstransporte des Reiches, um das ungeheure Grauen an einem Häuflein des Staatsvolkes mit Kugeln und Feuerbränden zu rächen. Die kleinen türkischen Besatzungen, die vor den Verteidigungsabschnitten lagerten, rasten den Berg hinunter. Kein Offizier konnte sie aufhalten. Was in dem Bann der Steineichenschlucht noch lebte, hatte sich, der Kugeln nicht mehr achthabend, durchs Dickicht geschlagen und den Vorberg erreicht. Die Armeniersöhne waren nicht stark genug, den Eingang der Schlucht völlig abzuriegeln. Einige ehrenwerte tapfere Offiziere und Soldaten, die ihren Jüs-Baschi vermißten, hatten sich noch einmal zurückgewagt und den Verwundeten, der bewußtlos am Waldrand lag, geborgen und knapp vor der Gefangennahme gerettet. Sie trugen ihn in die Villa Bagradian, das Hauptquartier. Während dieses schmerzhaften Weges erwachte der Major. Einige schwere Atemzüge. Er wußte, daß alles verloren war, daß die Christen seine Heeresmacht vollständig aufgerieben hatten, daß es für ihn keine Rehabilitierung und Rückkehr gab. Aufrichtig fluchte er dem Geschoß, das nur seinen rechten Arm zerschmettert und keine gründlichere Arbeit geleistet hatte. Er wünschte sich eines nur, wieder bewußtlos zu werden. Dieser Wunsch aber blieb ihm nicht nur versagt, sondern die klarste und kälteste Beurteilung des Geschehenen arbeitete in ihm unerbittlich.
    Die Prozession des Feuers hatte keinen Feind mehr vor der Brust. Langsam näherten sich die brennenden Reihen der Steineichenschlucht und ihren Nachbarwäldern. Auf halber Höhe des Berges etwa ließ Ter Haigasun die langen Linien halten und gab den Befehl (der von einem Ende zum anderen lief), die lodernden Fackelstümpfe ins Unterholz zu werfen und eilig zurückzukehren. Die Flammenstöcke versanken im aufqualmenden Wildwuchs. Nach wenigen Minuten schon gab es allenthalben einen endlos fortknatternden Knall, als ob der ganze Damlajik explodieren wollte. An vielen Stellen schoß die Lohe des Waldbrands hoch. Wehe, wenn sich der Wind in den nächsten Stunden und Tagen wendete! Die Stadtmulde, die ja dem Bergrand zunächst lag, wäre den wehenden Funken und Feuerzungen ausgesetzt gewesen. Ein Glück, daß Gabriel Bagradian vor den Abschnitten ein ausgeholztes Glacis geschaffen hatte! Der Waldbrand breitete sich mit derartiger Geschwindigkeit, ja Gleichzeitigkeit über der sommertrockenen Brust des Damlajik aus, daß es nicht irdisches Feuer und irdischen Feuers Nahrung zu sein schien, was da in tobenden Flammen stand. Den Komitatschis und Zehnerschaften tiefer unten blieb kaum Zeit, die Beute des Überfalles sicherzustellen, mehr als zweihundert Mausergewehre, Munition in Hülle und Fülle, zwei Kochkisten, fünf Lastesel mit Proviant, Zeltbahnen, Decken, Laternen und reiches Material sonst.
     
    Als die wirkliche Sonne aufging, lag über dem Damlajik ein

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