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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Schlafs wurde, je mehr sich sein Zustand dem Tag-Gewissen näherte, um so verschlagener wichen seine Gedanken solch kühnen Entschlüssen aus. Zuletzt hatten sie in geglättetem Schlummer einen recht gängigen Ausweg ersonnen: Es war völlig überflüssig, schuldbewußte Rapporte an die Zentralbehörden loszulassen. Der Kaimakam schlief bis Mittag.
    Es schliefen die Toten, christliche und muselmanische, weithin verstreut im Gestrüpp der Eichenschlucht und in den Gehölzen der Berghänge. Die kostenden Zungen des riesigen Waldbrands näherten sich ihnen mit übermütiger Verspieltheit. Das Feuer schien diese Schläfer zu wecken, es hob sie von unten hoch, sie setzten sich schreckerstarrt auf, ehe ihre Leiber platzten und in dem reinigenden Scheiterhaufen versanken. Und von Stunde zu Stunde wuchs der Brand und breitete sich über den Damlajik aus, nordwärts und südwärts. Er verlor sich erst vor den nackten Steinhalden des Bergsturzes unterhalb der Südbastion und in einer felsigen Einbuchtung, die den Nordsattel vor ihm schützte. Der grüne Reichtum der quellgesegneten Alpe, dieses Wunder der syrischen Küste, triumphierte noch einmal mit lodernden Fahnen, tagelang, ehe von allem nur ein gewaltiges Hindernisfeld von kohlender Glut zurückblieb. So umpanzerte der Musa Dagh mit Flammen und rotglosenden Trümmern seine todesmatten Kinder, die im Abgrund ihres Schlafes nicht wußten, daß sie nun für längere Zeit vor den Angriffen ihrer Verfolger gefeit waren. Keiner von ihnen ahnte, daß eine freundliche Wind-Macht die Gefahr hilfreich von der Stadtmulde abwandte und alle Funken und Flammenfetzen bergabwärts peitschte. Die Zehnerschaften und das Volk schliefen bis in den späten Nachmittag hinein, dann erst verfügte der Führerrat, daß die gefährdeten Punkte des Bergrandes völlig von Holz und Laub befreit werden müßten. Eine neue gewaltige Arbeit begann damit.
    Alle hatten den Tag verschlafen, nur eine einzige nicht. Sie saß in ihrem Zelte regungslos auf dem Bett. Doch es half ihr nichts, wie klein sie sich auch in dem dröhnenden Gehäuse ihrer unaussprechlichen Fremdheit und ihrer unentrinnbaren Schuld machte.

Viertes Kapitel Satos Wege
    Obgleich sich die glückhafte Richtung des Windes vorläufig nicht änderte, so übte der Waldbrand oder besser der Bergbrand auf die Gemüter der Menschen dennoch eine tief herabstimmende Wirkung aus. Es gab keine Finsternis mehr. Die Nächte schielten und zwinkerten mit rötlichem Lauerblick. Wahnsinnige Schatten sprangen zum Tanz. Der Himmel war mit ziehendem Pechqualm bedeckt. Unausdenkliche Hitze herrschte, so mittags wie mitternachts, ohne einen Hauch der Kühlung. Der beißende Rauch verschlug den Atem und beizte die Schleimhäute der Nase und des Halses. Ein wüster und sonderbarer Schnupfen ging um, der das ganze Lager ansteckte, und in seinem Gefolge eine tückische Gereiztheit mitführte.
    Anstatt der Siegesfreude und des Jubeldanks traten die Anzeichen beginnender Selbstzerstörung auf, die Merkmale eines unheimlichen inneren Prozesses, der alle Ordnung und Mannszucht in tollwütigen Anfällen zu verzehren drohte. Hierher gehörte nicht zuletzt die widerwärtige Geschichte mit Sarkis Kilikian, die leider schon am Abend des großen Ruhetages vorfiel. Sie war einer der Gründe, warum sich weder Ter Haigasun noch Gabriel Bagradian bei der Tatsache beruhigten, daß jetzt mit Gottes Hilfe eine lange Kampfpause zu erhoffen war. Gewiß, der verwegene Einfall, einen Waldbrand zu entfesseln, hatte im Bunde mit der Riesenbeute an Feuerwaffen die Verteidigungslage gewaltig verbessert. Selbst der Gedanke an einen völligen Angriffsverzicht der Türken war keineswegs so unsinnig mehr wie früher. Und doch, nur die Brust des Damlajik stand in Flammen, seine Hüften, die Steinhalden oberhalb Suedjas und der Nordsattel, boten sich ebenso dar wie immer. Man durfte die Auflösung des harten Graben-Dienstes unter keinen Umständen dulden. Mit aller Strenge mußte die Autorität der Führung aufrecht erhalten bleiben. Doch nicht minder wichtig war es, das Gemüt des Lagervolkes in der Stadtmulde wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das, was Ter Haigasun »den Alltag« nannte, mußte neuerdings wider alle verstörenden Teufelsmächte ins Recht gesetzt werden. Der Führerrat, der schon am Abend des vierundzwanzigsten zusammentrat, entsagte daher einer feierlichen Beerdigung der Opfer, um keinen Anlaß zu irgendwelcher Massenerregung zu geben.
    In diesen Abendstunden hatten die

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