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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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wollte. Dabei wiederholte er mehrmals:
    »Es ist doch ein Fest, Frau! Nicht wahr?«
    Als Gabriel eines der Fenster öffnete, um einen Blick in die Nacht zu werfen, fühlte er Juliette hinter sich:
    »Nun, ist es nicht recht hübsch?« flüsterte sie.
    Er legte die Hand um ihre Hüfte:
    »Wem habe ich es zu verdanken, wenn nicht dir?«
    Doch zu diesen liebenden Worten paßte der verzerrte Ton nicht. Im Gefolge des Weines wurde der Wunsch nach Musik rege. Einige wiesen auf einen jungen Menschen hin, der zu den Lehrern gehörte. Es war einer aus Krikors Jüngerschaft namens Asajan. Der zwirnsdünne Mann sollte Inhaber einer guten Stimme und eines guten Gedächtnisses für die heimische Liederwelt sein. Nach Sängerart sträubte sich Asajan. Ohne Begleitung könne man nicht singen und seine Wohnung liege zu weit, den Tar zu holen. Juliette dachte schon daran, ihr Grammophon herunterbringen zu lassen. Gewiß kannten die wenigsten der Bewohner von Yoghonoluk dieses Wunder der Technik. Apotheker Krikor jedoch entschied die Frage, indem er seinem Hausgast einen bedeutungsvollen Blick sandte.
    »Wir haben ja einen Künstler unter uns.«
    Gonzague Maris setzte sich ohne viel Widerstreben an das Piano.
    »Eines der zwölf Klaviere in Syrien«, verkündete Gabriel, »es wurde vor einem Vierteljahrhundert für meine Mutter aus Wien bezogen. Kristaphor aber hat mir erzählt, daß mein Bruder Awetis aus Aleppo einen Fachmann kommen ließ, um es instand zu setzen. In den letzten Wochen seines Lebens hat er oft gespielt. Und ich wußte gar nicht, daß er musikalisch war …«
    Gonzague griff ein paar Akkorde. Aber wie es schon geht, der Künstler fand nicht den rechten Ton für die späte Stunde, für die ungewohnten Ohren und das Erfrischungsbedürfnis seiner Zuhörer. Nachlässig, den Kopf über die Tasten gebeugt, die Zigarette im Mund, saß er da, – seine Finger aber gerieten immer tiefer in makabre Weisen. »Verstimmt, schrecklich verstimmt«, murmelte er und konnte sich vielleicht deshalb nicht von dem klagenden Tongeschlecht losreißen. Ein Schleier von Langweile und Abspannung legte sich aufsein vorhin noch so hübsches Gesicht. Bagradian betrachtete von der Seite dieses Gesicht, das ihm jetzt nicht mehr knabenhaft schüchtern, sondern zweideutig und abgelebt erschien. Er sah sich nach Juliette um, die ihren Stuhl in die Nähe des Klaviers geschoben hatte. Ihr Gesicht war plötzlich alt und verfallen. Auf seine fragende Miene gestand sie leise:
    »Kopfschmerzen … Von diesem Wein …«
    Gonzague brach unvermittelt ab und schloß den Deckel:
    »Verzeihen Sie bitte«, sagte er.
    Obgleich Lehrer Schatakhian, um seine musikalische Weihe zu beglaubigen, das Klavierspiel des Fremden in Fachausdrücken pries, war die Heiterkeit dahin. Kurz nachher eröffnete Frau Pastor Nokhudian den Aufbruch. Man übernachte zwar bei Freunden in Yoghonoluk, müsse aber schon bei Sonnenaufgang den Weg nach Bitias antreten. Am längsten zögerte Oskanian, der Schweiger. Als die andern schon in den Park traten, kehrte er noch einmal zurück, ging mit seinen kurzen Beinen streng und zu allem entschlossen auf Juliette zu, so daß diese leicht erschrak. Er überreichte ihr aber nur einen großen, in armenischer Schrift mit verschiedenfarbigen Tinten herrlich beschriebenen Bogen, ehe er verschwand.
    Es war ein schwungvolles Gedicht verehrender Liebe.
     
    Als Juliette in der Nacht jäh erwachte, sah sie Gabriel im Bette neben sich starr aufrecht sitzen. Er hatte seine Kerze angezündet und mußte die Schläferin schon lange beobachtet haben. Sie spürte deutlich, daß nicht die Flamme, sondern sein Blick sie aus dem Schlafe gerissen hatte.
    Er berührte ihren Arm:
    »Ich wollte dich nicht wecken; habe mir aber gewünscht, daß du von selbst aufwachst.«
    Sie schüttelte das Haar zurück. Ihr Gesicht war frisch und freundlich:
    »Du hättest mich ruhig wecken können. Mir macht das nichts. Du weißt es ja. Für nächtliche Plaudereien bin ich immer zu haben.«
    »Ich habe hin und her gedacht …« erklärte er ungenau.
    »Und ich habe göttlich geschlafen. Meine Kopfschmerzen kamen also nicht von eurem armenischen Wein, sondern vom Klavierspiel meines – comment dire? – demi-compatriote. Komischer Einfall! Yoghonoluk als Kurort zu benutzen und zu Herrn Krikor in Pension zu gehn. Das Komischeste aber ist der kleine schwarze Lehrer, der mir das zusammengerollte Plakat übergeben hat. Und auch der andere Lehrer, der so langsam durch die Nase

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