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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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bellt! Er hält das wahrscheinlich für besonders vornehmes Französisch. Wie eine Mischung von Steineklopfen und Hundewinseln klingt das. Ihr Armenier habt alle eine sonderbare Aussprache. Selbst du bist nicht ganz frei davon, mein Freund. Nun, man muß nicht gar zu streng sein. Es sind doch recht liebe Leute.«
    »Arme, arme Menschen sind es!«
    Dieser Ausbruch rasselte gequält aus Gabriels Brust. Juliettens Stimme wurde weich:
    »Ich habe mich gekränkt, daß du weggeritten bist, ohne mir ein Wort zu sagen. Ich hätte dir auch Proviant mitgegeben …«
    Er schien ihre fürsorglichen Worte gar nicht zu hören:
    »Keinen Augenblick habe ich geschlafen. Mir ist so vieles eingefallen. Das Diner bei Professor Lefevre, damals. Und mein erster Brief an dich.«
    Juliette hatte an Gabriel niemals auch nur die geringste Sentimentalität bemerkt. Umso mehr setzte er sie jetzt in Erstaunen. Schweigend blickte sie zu ihm hinüber. Die Kerze hinter seinem Rücken bewirkte, daß des Mannes Gesicht unsichtbar blieb und nur sein Oberkörper wie ein großer schwarzer Block sich abzeichnete. Gabriel aber sah – da nicht nur die Kerzenflamme, sondern das erste ernsthafte Morgen-Zwielicht auf Juliette fiel – ein zartschimmernd helles Wesen sich gegenüber: »Vierzehn Jahre waren es im Oktober. Das größte Geschenk meines Lebens. Und doch, es war eine schwere Schuld. Ich hätte dich nicht losreißen, nicht in ein fremdes Verhängnis stürzen dürfen …«
    Sie griff nach den Streichhölzchen, um nun auch ihre Kerze anzuzünden. Er haschte nach ihrer Hand und verhinderte es. So traf sie seine Stimme wieder aus der gestaltlosen Schwärze:
    »Es wäre das beste, du würdest dich retten … Wir sollten uns scheiden lassen!«
    Sie schwieg lange. Es fiel ihr nicht ein, daß dieser tolle, ganz und gar unbegreifliche Antrag mit ernsten Dingen im Zusammenhang stehn könnte. Sie rückte näher zu ihm:
    »Hab ich dir wehgetan, dich gekränkt, dich eifersüchtig gemacht …?«
    »Nie bist du gütiger zu mir gewesen als heute abends. Seit Jahren schon hab ich dich nicht so lieb gehabt … Doch umso schrecklicher!«
    Er stützte sich höher auf, wodurch der dunkle Block seiner Gestalt noch fremder wurde:
    »Juliette, du mußt ernst nehmen, was ich sage. Ter Haigasun wird alles tun, um unsere Scheidung so schnell wie möglich durchzuführen. Und die türkische Behörde macht bei solchen Dingen keine Schwierigkeiten. Dann bist du frei, keine Armenierin mehr, und kannst dich lossagen von dem grauenhaften Volksschicksal, in das du durch meine Schuld geraten bist. Wir reisen nach Aleppo. Dort stellst du dich als Europäerin unter den Schutz eines Konsuls, des amerikanischen, des schweizerischen, gleichviel. Dann bist du in Sicherheit, was auch hier und dort geschehn mag. Stephan kommt mit dir. Ihr werdet ungehindert die Türkei verlassen dürfen. Mein Vermögen und meine Einkünfte werde ich natürlich auf euch überschreiben …«
    Er hatte krampfhaft und schnell gesprochen, damit sie ihn nicht unterbreche. Juliettens Gesicht aber kam dem seinen ganz nahe:
    »Und diesen Wahnsinn meinst du wirklich ernst?«
    »Wenn alles vorüber ist und ich noch lebe, dann komm ich ja wieder zu euch.«
    »Und gestern haben wir noch in aller Ruhe besprochen, was geschehen soll, wenn du einberufen wirst …«
    »Gestern? Gestern war alles falsch. Unterdessen aber hat sich die Welt verändert.«
    »Was hat sich verändert? Die Geschichte mit den Pässen? Wir werden neue bekommen. Und du selbst sagst doch, daß du in Antiochia nichts Schlimmes erfahren hast.«
    »Ich habe zwar manches Schlimme erfahren, aber darauf kommt es nicht an. Was sich tatsächlich verändert hat, ist vielleicht sehr wenig. Aber das kommt plötzlich wie ein Wüstensturm. Die Väter in mir, die namenlos gelitten haben, spüren es. Der ganze Lebens-Stoff spürt es. Nein, das kannst du nicht begreifen, Juliette. Wer niemals um seiner Rasse willen gehaßt worden ist, kann das nicht begreifen.«
    Juliette sprang aus dem Bett, setzte sich zu ihm, nahm seine Hände:
    »Du bist genau wie Stephan. Wenn der einen schweren Traum gehabt hat, erwacht er auch nur halb und ist eine Stunde lang verstört. Warum sollten denn gerade wir in Gefahr sein? Ich denke an deine türkischen Freunde, an diese reizenden feinen Menschen, die wir in Paris bei uns so oft zu Gast gehabt haben. Und das sollten auf einmal heimtückische Bestien geworden sein? Nein! Ihr Armenier habt den Türken immer unrecht

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