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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Nächte in den Kellern zubringen mußten. Sie aber lebte hier in einem paradiesischen Frühling. Ein paar Monate konnte sie es noch sehr gut aushalten. Und dann würde man schließlich über kurz oder lang in die Avenue Kléber heimkehren. Inzwischen aber gab es für Juliette Arbeit über Arbeit, die ihren Tag auf das schönste ausfüllte. Sie hatte keine Zeit, viel nachzudenken. Ihr Ehrgeiz als Haus- und Gutsherrin war erwacht. Die Dienerschaft mußte zivilisiert werden. Sie bekam Gelegenheit, das angeborene Talent des armenischen Volkes bewundern zu lernen. Howhannes, der Koch, entwickelte sich in wenigen Wochen beinahe zu einem französischen Küchenchef. Der Diener Missak war so vielseitig, daß Juliette daran dachte, ihn nach Frankreich mitzunehmen. Die beiden Mädchen, die sie in ihren Diensten hatte, versprachen vollkommene Zofen zu werden. Die Villa selbst war in recht gutem Zustand. Jedoch die scharfen Augen einer Frau sahen an manchen Stellen trotzdem Verwahrlosung und Verfall. Handwerker kamen ins Haus. Ihr Meister war ein würdiger Mann namens Tomasian, der alle Zimmermannsarbeit übernahm. Man durfte aber Tomasian keineswegs als Handwerksmeister begegnen, er selbst nannte sich einen Bauunternehmer, trug eine schwergoldne Uhrkette durchs Leben, an der das von Lehrer Oskanian gemalte Bild seiner verstorbenen Gattin im Medaillon hing, und verabsäumte ferner keine Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß seine beiden Kinder, Sohn und Tochter, in Genf studiert hatten. Er war auch von einer ermüdenden Gründlichkeit und verwickelte Juliette in langwierige Besprechungen. Dafür aber gelang es ihm, nicht nur die Schäden des alten Hauses in kurzer Zeit zu beheben, sondern auch für gewisse Einrichtungen, so gut es ging, Sorge zu treffen, die abendländischen Gewohnheiten notwendig waren. Die Handwerker arbeiteten geschickt und mit staunenswerter Geräuschlosigkeit. Bereits in den ersten Apriltagen konnte Juliette mit Stolz feststellen, daß sie an der weltabgeschiedenen syrischen Küste ein Hauswesen besaß, das sich ruhig, wenn man die primitive Beleuchtung und Wasseranlage ausnahm, mit jedem westlichen Ruhesitz hätte messen können.
    Ihre größte Freude aber war der Obst- und Rosengarten. Hier sprach wiederum ihr Väterblut. Steckt nicht in jedem Franzosen ein erblicher Gärtner und Obstzüchter? Doch auch die Armenier sind geborene Gärtner, zumal die Leute vom Musa Dagh. Kristaphor, der Verwalter, war ein Meister dieses Faches. Juliette hätte die Möglichkeit eines solchen Fruchtgartens nie geahnt. Man erntete beinahe das ganze Jahr. Niemand, der sie nicht gekostet hat, könnte sich eine Vorstellung von der Süße und Saftigkeit armenischer Aprikosen machen. Selbst hier, jenseits der Wasserscheide des Taurus, behielten sie noch die ganze Frische ihrer Heimat oben am gartenreichen See von Wan. Juliette lernte in ihrem Garten immer wieder neue Frucht-, Gemüse- und Blumenarten kennen, von denen sie nie gehört hatte. Die längste Zeit verbrachte sie aber in der Rosenpflanzung, den Sombrero auf dem Kopf und die große Zwickschere Kristaphors in der Hand. Für eine Rosen-Närrin wie sie wars eine Berauschung, die sich nicht überbieten ließ. Ein weiter Plan, Stock neben Stock, Staude neben Staude, doch nicht in westlicher Exerzier-Ordnung, sondern ein dichter Tumult von Farben und Düften auf dunkelgrünen Wogen. Damaskus war nah und Persien nicht fern. Die tausend Stämme dieser Vaterländer hatten ihre Kinder hierher entsandt, und wenn Juliette auf den schmalen Gärtnerpfaden dieses Meer durchschritt, so grüßte sie mit unzähligen Blicken und Atemzügen der Inbegriff aller Rosenheit. – Apotheker Krikor hatte ihr versprochen, wenn sie ihm genügend viele Körbe von frischen Blüten der echten Moschata damascena zustellen wollte, eine winzige Phiole von jenem Öl auszupressen, dessen Herstellung an jahrhundertealte Bräuche gebunden sei. Und er berichtete auch von einer Legende. Ein einziger Tropfen der echten Essenz besitze eine solche Kraft, daß ein Toter, dem man diesen Tropfen ins Haar tue, noch bei der Auferstehung danach duften und so den Engel des Gerichts für sich einnehmen werde.
    Hie und da ritt Juliette mit Stephan aus. Awetis Bagradian hatte vier Pferde hinterlassen. Eines davon, ein recht kleines gutmütiges Pferdchen, erhielt der Junge zum Geschenk. Bei diesen Spazierritten, die entweder in die Richtung der Ebene von Suedja oder auf der anderen Seite über Azir, Bitias nach dem Bienendorf

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