Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Und ihr verlangt doch Arbeit von uns, den ganzen Tag müssen wir Dienst machen und die ganze Nacht, ärger als in jeder Kaserne …«
    Bagradian antwortete nicht, sondern gab seinen Leuten nur einen knappen Wink, das Feuer zu zerstören und das Fleisch zu beschlagnahmen. Tschausch Nurhan drohte mit einer der schon gebräunten Ziegenstelzen:
    »Ihr werdet noch ganz anders hungern! Freßt euch gegenseitig auf!«
    Der Langhaarige näherte sich Bagradian mit demütig über der Brust gekreuzten Armen:
    »Effendi! Gebt uns Munition! Jeder von uns hat nur ein Magazin. Alles andre habt ihr uns abgenommen. Dann können wir auf die Jagd gehen und uns einen Hasen oder Fuchs schießen. Es ist nicht gut, daß wir so wenig Patronen haben. In der Nacht können die Türken kommen …«
    Gabriel Bagradian drehte sich um und ließ den Deserteur stehen. Auf dem Heimweg erklärte Nurhan Elleon, der noch immer sehr aufgeregt war:
    »Man muß die Südbastion ausmisten. Am besten, wir jagen zwanzig der Ärgsten davon!«
    Gabriel Bagradians Gedanken waren schon längst von dem widerwärtigen Vorfall zu wichtigeren Fragen abgeschweift:
    »Das ist unmöglich«, entgegnete er zerstreut, »wir können armenische Volksgenossen nicht in den Tod jagen.«
    »Armenische Volksgenossen!?«
    Tschausch Nurhan spuckte in einem höhnischen Bogen aus. Das Gesicht des Langhaarigen stieg vor Gabriel auf:
    »Unter fünftausend Menschen muß es auch Gesindel geben. Das ist überall so.«
    Der Tschausch sah Gabriel argwöhnisch an:
    »Es ist nicht gut, daß man solche Verbrechen hinnimmt …«
    Bagradian blieb stehn, packte das Mausergewehr des Längerdienenden und stieß den Kolben hart auf die Erde:
    »Wir haben nur eine Strafe, Tschausch Nurhan, diese da! Alles andre ist lächerlich! Wars nicht lächerlich, daß man den Kilikian in die Baracke gesperrt hat, wo er dann der Nachbar des armen Krikor war? Um die Bande bei dem Feuer zu strafen, hätten wir sie alle erschießen müssen.«
    »Das hätten wir auch müssen! … Jetzt aber werden wir eine neue Einteilung machen, Effendi …«
    Gabriel Bagradian blieb stehn:
    »Ich werde eine neue Einteilung machen, Tschausch Nurhan, etwas ganz und gar Neues …«
    Er sprach nicht weiter, denn über dieses Neue war er sich noch immer durchaus nicht klar.
     
    Als am Morgen des sechsten September die Frauen zu den Fleischbänken kamen, um den Tagesanteil der Familien einzuholen, da erhielt nur mehr ein Teil von ihnen Knochen, an denen einige Flachsen hingen. Verzweifelt stürzten sich die Mütter auf die Muchtars, die an den einzelnen Dorfbänken die Verteilung leiteten wie immer. Die Ortsschulzen wichen zurück, grün und grau wie das schlechte Gewissen. Man habe auf Anordnung des Führerrates die besten Teile in die Stellungen hinausgebracht, so stammelten sie, denn die Krieger müßten ja für die zu erwartenden Kämpfe bei Kräften sein. Was aber die allerletzten Geißen und Esel anbelangt, so dürften sie auf Ratsbeschluß nicht geschlachtet werden, die Ziegen nicht, wegen der Milch für die kleinsten Kinder, und die vier letzten Tragtiere nicht, weil sie für den Kampf notwendig seien. Es bleibe nichts anderes übrig, als daß sich die Familienmütter in den nächsten Tagen selbst nach Nahrung umschauten. Sie müßten jetzt versuchen, aus allerhand Pflanzen, aus Arbutuskirschen, Eicheln, Feigenkaktus, Wildbeeren, Wurzeln und Blättern eine Brühe herzustellen, die wenigstens über den Schmerz des Hungers hinweghelfe. Während die Muchtars solche trostlose Ratschläge erteilten, duckten sie sich und hielten die Hände vors Gesicht, denn sie waren gewärtig, daß die Weiber in ihrer Wut sie erdrosseln und zerreißen würden. Doch es geschah etwas andres. Die Frauen senkten die Köpfe und erstarrten. Die fiebrische Unruhe ihrer Augen verwandelte sich in jenen gelähmten Ausdruck von damals, als der Blitz des Verschickungsbefehles in die Dörfer eingeschlagen hatte. Die Muchtars atmeten auf. Sie hatten nichts mehr zu fürchten. Der Weiberhaufen löste sich. Es waren ihrer mehrere hundert, alt und jung, hübsch und häßlich, doch alle in bejammernswertem Zustand, abgezehrt, verfallen. Die Stattlichsten noch konnte ein Wind umwerfen. Sie kehrten den leeren Verteilungsbänken langsam den Rücken. Die vielen Füße setzten sich schwerfällig in Bewegung, als müßten sie an ihren nackten Sohlen oder an den Absätzen der ausgetretenen Pantoffeln die ganze steinichte Elends-Erde des Damlajik mit sich schleppen.
    Eine

Weitere Kostenlose Bücher