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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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wieder einmal eine Idee haben. Hatte er, Gabriel Bagradian, nicht immer eine rettende Idee gehabt, so daß man noch heute ungebrochen dastand? Zuerst wars der Verteidigungsplan gewesen, das ganze System, dann die Komitatschis, die fliegende Garde, der rettende Waldbrand … Zuvorkommen?! Ein neuer Einfall jetzt! Aber was? Aber wie? Sein Kopf war leer.
     
    Am nächsten Tage visitierte Gabriel Bagradian die Südbastion, wie er sichs vorgenommen hatte. Vorher aber machte er bei der Haubitzstellung halt. Die Geschützrohre waren nach entgegengesetzen Seiten gerichtet, das eine auf die Nordhöhen, das andre nach Suedja. Gabriel hatte noch in den Tagen vor Stephans Tod die Elemente nach seiner Karte ermittelt. Es war immerhin möglich, den Anmarsch des Feindes zu stören und aufzuhalten. In den Geschoßverschlägen fanden sich noch vier Schrapnells und fünfzehn Granaten. Die Geschütze hatten eine Wache und Bedienung von acht Mann, die durch Nurhan Elleon in den einfachsten Handhabungen wie Vorführen, Sporenverwerfen, Geschoßzubringen, Schnurabziehen und so weiter notdürftig ausgebildet worden waren.
    Tschausch Nurhan, Awakian und einige Abschnittsführer begleiteten Gabriel auf seinem Inspektionsgang. Die ersten Eindrücke, die diese Männer im Gebiete der Südbastion empfingen, waren weiter nicht verdächtig. Sarkis Kilikian hatte es sich nach seiner Haftentlassung sogar angelegen sein lassen, die Maschinerie der Sturmwidder noch weiter zu verbessern. Die mächtigen Stoßschilde waren durch strahlenförmig über den Rand greifende Ruder vergrößert. Der Anprall der Schilde konnte nun eine weit umfangreichere Fläche der lockeren Mauern erfassen. Auch waren die Platten selbst verdoppelt und durch reichlichen Eisenbeschlag und starke Klammern gesichert. Wenn man dem gedrungenen Anblick trauen durfte, so waren diese Katapulte imstande, Blöcke von Zentnergewicht bis in die Ruinen von Seleucia zu schleudern. Kilikian schien sich für nichts andres als für dieses düstere Spielzeug zu interessieren. Es war ein kindhafter Zug, dieser Anfall von verbohrtem Eifer, mit dem er immer wieder an den Mauerbrechern herumarbeitete. Der Eifer stand im schärfsten Widerspruch zu der ausgelaugten Verödung seines Wesens. Gabriel Bagradian aber hatte vom ersten Augenblick an irgend eine verschüttete Quelle in diesem Opfer eines schrecklichen Lebens gespürt. Sein Verhältnis zu Kilikian war voll unaufgelöster Spannungen. Etwas in dem wohlerzogenen Großstädter und vornehmen Bürger fürchtete sich vor dem radikalen Nichts, das in dem Deserteur steckte. Es hatte zwischen ihnen nur ein einziges Mal ein Kampf stattgefunden, bei dem Kilikian schmählich unterlegen war. Doch weder ist dem Sieger damals wohl zu Mute gewesen, noch auch konnte er heute die Unsicherheit ganz überwinden, die ihn angesichts dieses Menschen jedesmal überfiel. Es war eine ausgesprochene Schwäche Bagradians und nicht leicht zu erklären. Er konnte die eigentümliche Achtung nicht loswerden, die ihm dieser Mensch einflößte, ohne sie durch irgend eine Eigenschaft oder Leistung zu verdienen. Jedesmal, wenn er ihm begegnete, versuchte Gabriel durch ein paar freundliche Worte, durch eine teilnehmende Erkundigung mit Sarkis in Verbindung zu treten und jedesmal wurde diese werbende Bemühung auf das peinlichste enttäuscht. Kilikian war der einzige Mensch auf dem Musa Dagh, dem gegenüber Gabriel Bagradian nicht den richtigen Ton fand. Entweder sprach er allzu herablassend zu ihm oder allzu gleichgestellt. Der Russe aber fand immer irgend eine Art, Bagradian abzulehnen. Daß er zum Beispiel jetzt ruhig auf dem Rücken liegen blieb, während der oberste Führer seinen Katapulten neues Lob zollte, war nicht nur eine Unverschämtheit, sondern eine Verletzung der Subordination, die unverzüglich hätte bestraft werden müssen. Anstatt dessen wandte sich Gabriel ab, Lehrer Oskanian mit den Blicken suchend. Dieser aber hatte sich bei Ankunft Bagradians in hysterischer Feigheit rasch aus dem Staub gemacht. Er konnte ja nicht wissen, daß weder Ter Haigasun, noch Bedros Hekim, noch Schatakhian den Betroffenen von jener widerwärtigen Beratung in Kenntnis gesetzt hatten, in welcher der Lehrer so viel Gift gegen das Haus Bagradian verspritzt hatte. Im übrigen schien sich seit seinem Ausschluß aus dem Führerrat Hrand Oskanians Geisteszustand nur noch eitler verwirrt zu haben. Er suchte wahrscheinlich eine Oskanian-Partei zu gründen. Seit Tagen redete er auf allerlei

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