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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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bestürzte Geste. Gabriel aber legte ihm die Hand aufs Knie:
    »Einmal muß man schließlich offen zueinander sein … Und wann sonst?«
    »Die Hunde haben alles vernichtet«, klagte der Student, hauptsächlich aus Verlegenheit, doch Bagradian schob das Vergangene von sich:
    »Daran brauchen wir nicht mehr zu denken. Einmal mußte es doch kommen … Und das Erwartete auf dieser Welt kommt eben meist auf unerwartete Art … Aber darüber will ich gar nicht sprechen, sondern … Hören Sie, Awakian, ich hatte da vorhin das sichere Gefühl, daß für Sie alles gut ausgehn wird. Warum, das kann ich Ihnen selbst nicht sagen. Wahrscheinlich ist es nur ein Unsinn, aber ich hab Sie wieder in Paris gesehn, Awakian, weiß der Teufel, wie Sie dorthin gekommen sind, das heißt, wie Sie dorthin kommen werden …«
    Die blasse, zurückweichende Stirn des Hauslehrers schimmerte in der Dunkelheit:
    »Es ist ganz bestimmt ein Unsinn, verzeihen Sie, Gabriel Bagradian. Wie es für Sie ausgehn wird, so wird es für mich ausgehn, etwas andres kanns doch nicht geben …«
    »Warum nicht? … Natürlich haben Sie vernunftgemäß recht, es gibt nichts andres. Aber nehmen wir einmal das Unsinnige an, nehmen wir an, Sie entkommen auf irgend eine Weise …«
    Gabriel Bagradian unterbrach sich und starrte gespannt ins Leere, als könnte er dort Awakians glückhafte Zukunft ziemlich genau erkennen. Dann zog er seine Brieftasche heraus und legte sie neben sich:
    »Ich wollte Sie gar nicht hier behalten, sondern wieder in die Nordstellung hinausschicken. Wenn Sie bei Nurhan sind, bin ich ruhiger. Aber das alles ist mir jetzt ziemlich gleichgültig. Sie sollen mir einen wichtigeren Dienst leisten, Awakian! Bleiben Sie bei den Frauen, ich meine bei meiner Frau und bei Fräulein Tomasian. Es hängt mit dem guten Vorgefühl zusammen, das ich Ihretwegen habe. Vielleicht sind Sie ein Glücksbringer. Tun Sie, was Sie können! Vor allem, sorgen Sie bitte dafür, daß die Zelte rechtzeitig, sofort bei Sonnenaufgang, geräumt werden! Sorgen Sie dafür, daß Madame so vorsichtig wie möglich den Steilweg hinuntergetragen wird. Finden Sie jemand andern als Kework! An seine Hände mag ich nicht denken. Nehmen Sie Kristaphor und Missak …«
    Samuel Awakian protestierte. In dem letzten Kampf morgen sei er notwendiger denn je. Die wichtigsten Fragen müßten noch gelöst werden. Der gewissenhafte Adjutant begann hastig auf die hundert Pflichten hinzuweisen, die seiner warteten. Der Befehlshaber jedoch lehnte es ungeduldig ab, sich damit zu beschäftigen:
    »Nein, nein! Man kann nichts mehr vorbereiten. Überlassen Sie alles mir. Ich brauche Sie hier nicht mehr. Ihr Dienst ist hiemit zu Ende, Awakian. Es bleibt bei meiner Bitte, meinem Wunsch.«
    Er händigte Awakian einen versiegelten Brief ein:
    »Ich habe Ihnen mein Testament übergeben, Freund. Sie behalten es solange, bis Madame wieder gesund ist, Sie verstehn mich. Ich setze immer den Unsinn meines Vorgefühls für Sie voraus. Nicht wahr? Und hier ist auch noch ein Scheck auf den Crédit Lyonnais. Ich weiß gar nicht, wie viel Gehalt ich Ihnen noch schuldig bin … Sie haben natürlich vollkommen recht, wenn Sie mich wie einen Irren ansehn. In unserer Lage ist eine derartige Abrechnung äußerst absurd. Ich bin ein Pedant. Vielleicht aber ist das Ganze ein Aberglauben und ich zaubre, begreifen Sie das? Ich zaubre ein bißchen.«
    Bagradian sprang lachend auf. Er machte jetzt einen frischen und zuversichtlichen Eindruck:
    »Falls ich Sie überlebe, gilt weder das Testament noch der Scheck … Also nehmen Sie sich zusammen …«
    Sein Lachen klang angestrengt. Awakian hielt die Papiere weit vor sich hin und begann noch einmal mit seinem Widerspruch. Jetzt aber fuhr ihn Gabriel zornig an:
    »Gehn Sie jetzt, ich bitte Sie, mir wird dann leichter sein!«
    Die letzten Stunden vor dem Morgen dehnten sich unerträglich. Mit zusammengebissenen Zähnen durchlauerte Bagradian die zergehende Finsternis. Im ersten Zwielicht stellte er das Geschütz auf die Südbastion ein. Der dicke Morgennebel dieses windstillen Tages zerriß lange nicht. Ganz plötzlich war eine rote zornige Sonne da. Gabriel kniete, wie es sich gehört, rechts von der ersten Haubitze und zog inbrünstig die Zündschnur ab. Der fuchtbare Knall, das wilde Zurückfahren der Lafette, Feuer und Dampf, das Verheulen in der Luft, die kristallharten Sekunden bis zum Einschlag der Granate im Ziel, dies alles war wie Erlösung. Mit dem

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