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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Herrn steckte in keiner rechten Uniform, sondern in einem bequemen weißen Leinenanzug, der nur durch den schmalen Ordensstreifen auf der Brust soldatisches Gepräge bekam. Der Admiral stellte verschiedene Fragen nach den türkischen Streitkräften, dann zeigte er mit seinem dünnen Bambusstock gegen die Felswände und tat seiner Umgebung noch einmal den Willensentschluß kund, die Hochfläche und Kampfstätte mit eigenen Augen sehen zu wollen. Einer der Herren wagte darauf hinzuweisen, daß es immerhin ein paar hundert Meter zu ersteigen gelte, was für den Chef vielleicht beschwerlich sein werde. Auch könne man wohl nicht mehr rechtzeitig zur Dejeuner-Zeit an Bord sein. Der Wagemutige erhielt überhaupt keine Antwort. Der Contre-Admiral gab das Aufbruchzeichen. Der Adjutant mußte daraufhin heimlich dafür sorgen, daß die Marine-Infanterie im Eilschritt den Serpentinenweg ersteige, um noch vor dem Exzellenzherrn auf dem Damlajik Stellung zu nehmen. Dieser Ausflug im Feindesland war eine höchst gewagte Sache. Der Berg schien von türkischen Truppen und Geschützen umzingelt zu sein. Es konnte somit zu höchst unangenehmen Überraschungen kommen. Bei dem eigensinnigen Charakter des Hochmögenden aber wäre jeder Einspruch aussichtslos gewesen. Man beschloß daher, während dieses Ausflugs durch ein paar Granaten auf die Küstenortschaften die Türken in ehrerbietigem Abstand zu halten. Der Adjutant mußte außerdem noch für einen Imbiß sorgen, denn die Strapaz einer solchen Bergbesteigung war für einen alten Seemann nicht unerheblich. Es war aber gerade der Ehrgeiz des Admirals, den jüngeren Herren des Gefolges die Überlegenheit seines Herzens, seiner Lunge und Glieder zu beweisen. Er federte nur so den steilen Bergpfad empor, allen andern voran. Sato machte die Bergführerin. Ihre Kräfte hatten durch den Hunger nicht gelitten. Sie rannte voraus und wieder zurück und wieder voraus, nach ihrer Art wie eine junge Hündin den Weg dreifach zurücklegend. Dergleichen strahlende Gestalten hatte die Waise von Zeitun in ihrem Leben nie gesehn. Ihre begehrlichen Elsteraugen fraßen sich in die Uniformen, Goldschnüre und Kriegsmedaillen fest, während ihre Hand in einer Konservenbüchse die letzten Reste von kaltem Fett aus den Rillen schabte. Der Branntwein, den ihr die Matrosen geschenkt hatten, durchströmte sie befeuernd. Sie drehte in den unaussprechlichen Fetzen des ehemaligen Schmetterlingskleidchens aufdringlich ihre Hüften vor den blendenden Göttern hin und her. Manchmal streckte sie die braune schmierige Pratze den Offizieren entgegen und ein landesüblicher Naturlaut entrang sich ihren Lippen: »Bakschisch!«
    Die Herren des Stabes blieben immer wieder stehn, blickten sich um und bewunderten die Schönheit des baum- und quellenreichen Musa Dagh. Und mehr als einer kam auf dieselbe Bezeichnung, die Gonzague Maris gefunden hatte: Riviera. Viele aber gaben um seiner wilden Jungfräulichkeit willen dem Mosisberg den Vorzug. Die Letzten waren zwei junge Marineoffiziere. Sie hatten bisher kaum ein Wort gesprochen und auch die Landschaft nicht gepriesen. Der eine, ein Engländer, blieb stehn, drehte sich aber nicht zum Meer um, sondern starrte geradeaus auf die Felserde:
    »Hören Sie, Kamerad, diese Armenier! Ich habe den Eindruck, keine Menschen gesehen zu haben, sondern nur Augen.«
     
    Gabriel Bagradian hatte die Verteidigungslinien noch immer nicht aufgelöst. Obgleich er Meldung vom Abmarsch der türkischen Truppen im Norden und Süden bekommen hatte, schien er dem Frieden doch nicht zu trauen. Es konnte auch selbstverständliche Kriegsmoral sein, die es nicht duldete, daß die Kämpfer die Walstatt verließen, ehe das Schicksal des Volkes gänzlich geregelt war. Vielleicht aber lag der Grund für diese Strenge tiefer. Zu weit war der neue Gabriel auf dem unbekannten Wege fortgeschritten, um sich so rasch zu dem alten Gabriel zurückzufinden. In vierzig Tagen hatte sich eine Verwandlung vollzogen, die ihn jetzt an die Stelle bannte. Manchem gröberen Mann erging es ähnlich. Niemand in der Linie murrte und meuterte wider Bagradians Ausdauer, am allerwenigsten die schuldbeladenen Deserteure, die sich in kriecherischer Dienstwilligkeit überboten. Gabriel hatte zu den Zehnerschafts-Führern ein paar Worte gesprochen: Niemand könne noch von Rettung reden, ehe nicht alle Frauen und Kinder eingeschifft seien. Man habe den Franzosen durch dieses Ausharren die Würde der armenischen Nation zu beweisen. Als

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