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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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französischen Kreuzer. Der große Transportdampfer folgte erst gegen Mittag nach. In breiter, schön ausgerichteter Reihe näherten sich die blaugrauen, turmbewehrten Kampfwesen dem Lande, lange parallele Kielschaumlinien nachschleppend. Der Chef des Geschwaders hatte dem Fregattenkapitän Brisson rückgefunkt, er wolle nicht nur die armenischen Flüchtlinge aufnehmen und zu diesem Zwecke die geplante Fahrt abbrechen, sondern er wünsche persönlich die Stätte des Heldenkampfes zu besichtigen, wo der Splitter einer christlichen Nation sich vierzig Tage lang gegen barbarische Übermacht behauptet hatte. Der Contre-Admiral war ein strenger, ja ein berühmter Katholik und der Kampf der Armenier für die Religion des Kreuzes bewegte ihn aufrichtig.
    Nachdem das Geschwader sich in vorbildlicher Symmetrie verankert hatte, begann auf dem spiegelhellen Meere ein glanzvolles Treiben. Hornsignale eiferten sich gegenseitig an. Ketten und Krane ächzten. Langsam schwebten die großen Boote nieder. Die Matrosen des ›Guichen‹ hatten mittlerweile zwischen den Klippen an der zugänglichsten Stelle eine Art von Landungsbrücke improvisiert, wobei Pastor Arams Fischereifloß zu unerwarteten Ehren kam. Die Geretteten lagen, saßen, hockten auf den schmalen Felsplatten und sahen mit verlorenen Blicken diesem Schauspiel zu, als gelte es nicht ihnen. Der Chefarzt des ›Guichen‹ samt Gehilfen und Sanitätsleuten war mit den Kranken und Hunger-Erschöpften beschäftigt. Er belobte Bedros Altouni hoch, daß er gestern noch, in der letzten Auflösung des Lebens, für die Ansteckungskranken oder -Verdächtigen ein abgesondertes Lager gefunden habe. Altouni bekannte tiefaufseufzend, daß oben auf dem Damlajik von diesen Ärmsten noch eine ganze Anzahl ungewartet und ungelabt dem Tode ausgesetzt sei, obgleich die meisten bei guter Pflege gerettet werden könnten. Der Chefarzt zog ein saures Gesicht. Die Aufnahme dieser Fiebernden bildete eine schwere Verantwortung. Was aber tun? Man konnte diese Christen doch nicht gut der Rache der Türken überlassen. Da der Chefarzt ein menschlicher Mann war, gab er seinem armenischen Kollegen einen Wink: »Reden Sie nicht viel über diese Sache!« Der Truppentransportdampfer war so gut wie leer und besaß große, wohleingerichtete Lazaretträume. Der Chefarzt zwinkerte dem Alten zu, er möge unbesorgt sein. Unter die Gesunden, soweit man von Gesunden sprechen kann, waren große Mengen von Brot und Konserven verteilt worden. Die Schiffsköche hatten große Kessel mit Kartoffelsuppe zubereitet und die gutmütigen französischen Matrosen liehen ihr eigenes Eßgeschirr her. Die Armenier aber nahmen alles hin, als sei es nicht ganz wirklich, sondern Traumbrot und Traumsuppe, die nicht sättigen könne. Doch als jeder seinen Anteil, nahezu ungekaut und ungeschmeckt, verschlungen hatte, ergriff ein neuer Gemütszustand die Gemeinden. Man war zwar sterbensmatt und ohne Leben mehr, und dennoch, die vierzig Tage lagen weit zurück wie eine halbvergeßne Sage. Noch wehrte sich der Körper gegen die ungewohnte Nahrung (o Brot, tausendmal ersehntes Brot), der Seele aber war alles wieder selbstverständlich, als sei es nie anders gewesen, als sei Gottes Gnade nichts als die natürliche Entwicklung der Dinge.
    Der Contre-Admiral landete, von einem großen Stab umgeben, an der schwanken Brücke. Seiner Motorbarkasse folgte ein Schwarm scharf dahinschießender Fahrzeuge. Zum Schutze des Geschwaderkommandeurs waren von allen Schiffen Abteilungen der Marine-Infanterie mit Maschinengewehren ans Land beordert worden. Die ausgebooteten Soldaten besetzten die schmalen Felsplatten, wodurch ein dichtes Gedränge entstand und der Admiral vor lauter französischen Uniformen den Gegenstand seiner Neugier kaum zu Gesicht bekam. Während er dann langsam durch die Haufen der Dorfleute schritt, verlangte er von Beginn und Hergang der Verteidigungskämpfe genau unterrichtet zu werden. Und hier widerfuhr Lehrer Schatakhian zum zweitenmal und in erhöhtem Maße noch die Auszeichnung, das Ohr eines erlauchten Franzosen durch die Fülle seines Wortschatzes in Erstaunen setzen zu dürfen. Der Contre-Admiral war ein kleiner, alter Herr mit einem streng zusammengerafften Militärgesicht, knapp und zierlich zugleich. Das Gesicht hatte braunrote Seemannsfärbung. Ein schneeweißes Bürstenbärtchen schwebte über der Oberlippe. Die blauen Augen waren sehr hart, doch schien ihr Blick durch Weite gemildert. Die graziöse Gestalt des alten

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