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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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sehr ansehnliche Schar halbwüchsiger Kinder, in der nicht einmal er selbst sich auszukennen schien. Er kümmerte sich auch um diese Nachkommenschaft so gut wie gar nicht. Der ehemalige Rekrutenbändiger mit dem angstgebietenden Schnurrbart war gegenüber der Horde seines eigenen Blutes die stumpfe Gutmütigkeit selbst, er ließ sie seelenruhig verwahrlosen. Nach Feierabend, wenn ihm die einzelnen Werkmeister seines Betriebes die Schlüssel eingehändigt hatten, betrat er weder sein kinderreiches Haus, noch klopfte er bei einem Nachbarn an. In der einen Hand den Weinkrug, in der anderen ein türkisches Infateriekornett, das er dem Ärar geraubt hatte, ging er in seinen Aprikosengarten. In der Dämmerung begannen dann, den Dörfern wohlbekannt, unsicher heulende Trompetenstöße die Luft zu zerreißen. Stockend und gicksend plärrten die türkischen Armeesignale auf, ein wüster Zapfenstreich, als wollte Tschausch Nurhan damit, ehe die Nacht kam, das ganze Tal zum Sammeln blasen.
    Wegen der Schulkinder hatte es übrigens zwischen den Dörfern eine kleine kulturpolitische Auseinandersetzung gegeben. Nach der Lehrordnung des Miazial Engerutiunk Hajoz, des allgemeinen armenischen Schulvereines, der die maßgebende Unterrichtsbehörde der Nation bildete, sollte das Schuljahr mit den ersten heißen Sommertagen zu Ende gehen, also bereits um die Mitte des Maimonates. Ter Haigasun aber, als oberster Schulverwalter, hatte plötzlich angeordnet, daß nach einer kurzen Ferienpause von acht Tagen der Unterricht neu aufzunehmen sei. Der Entschluß des Priesters entstammte den gleichen Ursachen wie der betäubte Arbeitseifer der ganzen Bevölkerung. Sintflutzeiten! Der nahenden Auflösung und Vernichtung alles Geordneten sollte doppelte Ordnung entgegengesetzt werden, der völligen Hilflosigkeit, die unabwendbar zu erwarten stand, die höchste Regelmäßigkeit und Disziplin. Und überdies war ja gerade in bedrängten Tagen das ungezügelte Geschrei und ahnungslose Getolle ferienfeiernder Kinderrudel eine unerträgliche Landplage. Klärlich wäre also alles mit Ter Haigasun einverstanden gewesen, wenn nicht von seiten der Lehrerschaft eine erbitterte Gegenströmung eingesetzt hätte. Die Lehrer, allen voran Hrand Oskanian, wollten nicht um ihre Freizeit kommen, die ihnen vertraglich zugesichert war. Sie steckten sich hinter die Muchtars, sie warnten die Eltern, das Gehirn der armen Kleinen werde durch Überanstrengung in der Gluthitze ernsthaft Schaden nehmen; Oskanian, der Schweiger aber entfesselte einen Werbefeldzug des Hasses gegen Ter Haigasun. Es nützte ihm nichts. Der Priester blieb stark. Er versammelte die sieben Muchtars der Ortschaften um sich und überzeugte sie in einer kurzen Rede. Das neue Schuljahr begann somit, des Sommers ungeachtet, unmittelbar nach dem alten. Die Lehrer versuchten als letztes Mittel Gabriel Bagradian in den Kampf hineinzuziehn. Schatakhian und Oskanian erschienen unter ernsten Förmlichkeiten in der Villa. Gabriel aber erklärte sich rundheraus und rückhaltlos für Fortsetzung des Unterrichtes. Er begrüßte sie nicht nur im allgemeinen, sondern auch im persönlichen Interesse, denn er habe die Absicht gefaßt, seinen Sohn Stephan zu Herrn Schatakhian in die Schule zu schicken, damit er endlich mit anderen Knaben seines Alters und seiner Rasse zusammenkomme. Lehrer Schatakhian verbeugte sich und erwiderte in seinem schönsten Französisch mit einer kleinen Ansprache, in der er die Forderungen der modernen Hygiene und Freiheitsfreude gegen die veraltete Strenge der Wissenschaft ausspielte. Nachdem er geendet hatte, traf ihn Bagradians ziemlich erstaunte Frage:
    »Warum reden Sie eigentlich französisch mit mir?«
    Hapeth Schatakhian verteidigte sich gekränkt:
    »Es geschah nur Ihretwegen, Effendi.«
    Hrand Oskanian aber stieß ihn wütend in den Rücken, als wollte er damit sagen: Siehst du, deine Eitelkeit hat alles verpatzt. Es blieb den Lehrern somit nur übrig, sich mit ihrer Niederlage vertraut zu machen. Der Schweiger aber lud seinen Haß in ein langes Schmähgedicht gegen Ter Haigasun ab. Bei einer der nächtlichen Zusammenkünfte unter Krikors Führung ließ er das gereimte Pamphlet durch Asajan, den zwirnsdünnen Sänger, zum Vortrag bringen. Lehrer Asajans Stimme bebte vor zorniger Ergriffenheit. Da er im Nebenberuf Chormeister der Kirche war, hatte er unter Ter Haigasuns unzugänglichem Regiment noch mehr zu leiden als andere. Der kämpferische Poem schloß mt folgenden drohenden

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