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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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manche in seinen Augen, in seiner Unruhe, in seinen Fragen, in den Notizen, die er sich machte, irgend ein zielbewußtes Denken, eine besondere Tätigkeit spüren, die ihn von jedermann unterschied. Alle Augen hingen an ihm, wenn er auftauchte. Er wurde in viele Häuser gebeten. Obgleich die Stuben nach der Sitte des Landes ziemlich leer waren, überraschte ihn doch ihre saubere Wohnlichkeit. Der lehmgestampfte Estrich war mit reinen Matten belegt. Zum Niedersitzen dienten mit guten Teppichen bedeckte Diwans. Nur bei den ärmsten Bauern grenzte der Stall unmittelbar an die Stube. Die Wände waren durchaus nicht überall nackt. Neben Heiligenbildern hatten die Bewohner irgendwelche verschollene Illustrationen und Kalenderbildchen aufgehängt. Manche Hausfrau schmückte ihren Raum – eine große Seltenheit im Orient – mit frischen Blumen, die meist in flachen Gefäßen lagen. Hatte sich der Gast niedergelassen, so wurde ein dicker Holzbock vor ihn hingestellt, auf dem die umfängliche Zinnschüssel ruhte, die eine Auswahl von Backwerk, Honigschnitten und süßen Käsewürfeln trug. Gabriel kannte noch von jenen Kindheitsjahren in Yoghonoluk her den Geschmack dieser überaus süßen Näschereien. Damals waren es verbotene Genüsse gewesen, denn die Eltern durften natürlich nichts davon wissen, daß die Dienerschaft des Hauses mit dem kleinen Gabriel in den Dorfhäusern einkehrte. Jetzt aber kam angesichts der reichlichen Bewirtung Gabriels Magen in Verlegenheit, zumal ihm neben dem Backwerk noch Melonenscheiben und gezuckerte Früchte angeboten wurden. Die Gastlichkeit abwehren, wäre eine tödliche Kränkung gewesen. Er half sich also damit, daß er die Kinder, die man ihm überall vorführte, mit den Süßigkeiten fütterte, während er hie und da selbst einen Bissen in den Mund steckte. Rührend, wie alle diese Kinder, besonders die kleinen, geliebt und wohlgehalten waren. Die Mütter verwendeten auf die Sauberkeit der Hemdchen, Kittel und Schürzen ihre stolzeste Sorgfalt. In späteren Jahren konnten freilich auch sie es nicht hindern, daß die Buben auf ihren Kriegs- und Beutezügen durch die Schluchten des Damalajik verwilderten. Bei seinen häufigen Dorfbesuchen gewann Gabriel Bagradian manchen Freund. Der getreueste unter allen war ein gesetzter Mann namens Tschausch Nurhan, was soviel heißen will wie Sergeant Nurhan. Dieser Tschausch Nurhan besaß am südlichen Ortsausgang von Yoghonoluk den ansehnlichsten Handwerksbetrieb nach dem Bauunternehmer Tomasian, und zwar eine Schlosserei und Schmiede, eine Werkstätte zur Sattelerzeugung, eine Wagnerei, in der die landesüblichen Kangni gebaut wurden, und schließlich ein innerstes Heiligtum, wo er ohne Zeugen waltete. Eingeweihte wußten, daß er sich in diesem Raum mit der Reparatur von Jagdwaffen und der Herstellung der dazugehörigen Patronen befaßte; doch blieb diese Tätigkeit unbequemer Anzeigen wegen den Augen des Saptieh Ali Nassif am besten entzogen. Tschausch Nurhan war ein alter »Längerdienender«. Eine militärische Dienstzeit von sieben Jahren lag hinter ihm, die er im Krieg und bei einem anatolischen Infanterieregiment in der großen Kaserne von Brussa verbracht hatte. Von eingefleischtem Soldatenwesen sprach seine ganze Erscheinung, der angegraute Schnurrbart mit den weit ausgezogenen Spitzen, der unablässige Gebrauch militärischer Redensarten und Kraftworte und nicht zuletzt sein ehrerbietig strammes Verhalten zu Bagradian, den er immer nur als Offizier und Vorgesetzten begrüßte. Vielleicht spürte er sogar irgendwelche Eigenschaften in Gabriel, von denen dieser selbst nichts wußte. Tschausch Nurhan, der schon für Awetis den Jüngeren gearbeitet hatte, übernahm es, die reichen Waffenbestände des Hauses Bagradian daraufhin durchzusehen, ob alles in Ordnung sei. Er holte die Gewehre ab, um sie in seiner heimlichen Werkstätte säuberlich zu zerlegen, einzufetten und wieder zusammenzusetzen. Bei dieser Arbeit sah ihm Gabriel öfter zu. Auch Stephan nahm er hie und da zu Nurhan mit. Die Männer unterhielten sich wie leidenschaftliche Fachleute über militärische Dinge. Der Tschausch war voll von groben Geschichten und Schnurren, die Gabriel, der Schöngeist, zu hören nicht müde ward. So verbohrten sich unglaublicherweise in den Monaten der Austreibung zwei armenische Männer mit Eifer in Erinnerungen an das türkische Soldatenleben, als läge ihre Heimat dort. Tschausch Nurhan war ebenso wie Vater Tomasian Witwer. Doch er besaß eine

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