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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Versen:
    »Verhängt deine Kutte die Sonne auch
Als finstere Wolke, die Sonne bricht durch.«
    Da die Sonne hier wohl allegorisch für Geisteslicht stand, so war nicht recht einzusehen, warum Ter Haigasuns Kutte dieses durch Vermehrung des Schulunterrichts verhängte. Krikor schüttelte über dergleichen ehrgeizige Versuche seines Jüngers den Kopf. Die Runde saß im Mondlicht auf einer Halde oberhalb der Weinberge von Kheder Beg. Der Apotheker ließ sich das Gedicht reichen. Von dem geschmähten Helden der Satire sah er ganz ab. Er sah immer vom Gegenstand ab. Mit dunklem Gleichmut verkündete er:
    »Das ist ein Durcheinander, Hrand Oskanian. Dichter, die hat es immer nur früher gegeben …«
    Nicht allein Dichter hatte es immer nur früher gegeben, auch Taten, Kriege, Staatsmänner, Helden. Die ganze Welt war erst als Geschichte überhaupt bemerkbar. Damit er den Jünger aber nicht ganz entmutige, winkte ihm Krikor:
    »Gib es nicht auf! Aber du mußt noch lernen, Lehrer!«
    Am festgesetzten Tage erschien Gabriel Bagradian mit Stephan und seiner kleinen Hausgenossin Sato, deren wunde Füße bereits verheilt waren, im Schulhaus von Yoghonoluk. Vorher hatte es eine kurze Meinungsverschiedenheit mit Juliette gegeben. Sie fürchtete für ihr Kind, so sagte sie, das Zusammenhocken mit dieser ungewaschenen Jugend und noch dazu in einem orientalischen Stall. Man habe Stephan doch nicht einmal in Paris in die Volkschule geschickt, wo doch wahrhaftig die Gefahr von ansteckenden Krankenheiten und Kopfläusen weniger zu fürchten war. Gabriel ging von seinem Standpunkt nicht ab. Wenn man die Dinge recht bedenke, so seien derartige Gefahren, die nur allzubald von wirklicheren Gefahren übertroffen werden könnten, nicht ernst zu nehmen. Er, als Vater, halte es für weit wichtiger, daß Stephan nun endlich das Seine lebendig kennen lerne, von Grund auf. Juliette hätte in anderen Zeiten und in einer anderen Lebenslage hundert Antworten bereit gehabt. Jetzt aber gab sie den Kampf sofort auf und schwieg. Es war ein schweigendes Nachgeben, das sie selbst am allerwenigsten verstehen konnte. Seit jenem Nacht-Gespräch, in dem sich Gabriel so verzweifelt gezeigt hatte, war etwas ganz Rätselhaftes geschehen. Die Traulichkeit des Lebens – diese in einer vierzehnjährigen Ehe gesammelte gute Ernte – verflüchtigte sich immer mehr. Wenn Juliette jetzt nachts erwachte, war es ihr manchmal, als hätten sie und der Schläfer neben ihr keine gemeinsame Geschichte. Ihre gemeinsame Geschichte lag dort drüben in Paris und den lichtberauschten Städten Europas, ganz abgetrennt und nicht mehr zu ihnen gehörig. Was war nur vorgegangen? Hatte sich Gabriel verändert oder sie selbst? Noch immer betrachtete sie die kommenden Möglichkeiten ohne Ernst. Es schien ihr fast lächerlich anzunehmen, daß die Sintflut vor ihr, der Französin, nicht ehrerbietig haltmachen werde. Es galt nichts anderes, als noch ein paar Wochen zu überstehen. Und dann zurück! Alles, was innerhalb dieser Wochen geschah oder nicht geschah, war gleichgültiges Spiel. So schwieg sie denn zu Gabriels Beschluß über Stephans Schulbesuch. Als sie sich aber in der innersten Seele jener lauen Regung – »Ah, was geht es mich an?« – jäh bewußt wurde, da erschrak sie und empfand ein unbekanntes Wehgefühl nicht nur um sich selbst, sondern mehr noch um Stephan.
    Es läßt sich denken, daß der Junge von dieser Neuordnung begeistert war. Er gestand seinem Vater, daß er während der Übungen, die der gute Herr Awakian mit ihm vornahm, kaum mehr aufmerken und sich sammeln konnte. Weit lieber gehe er, der Pariser Gymnasiast, der Lateiner und Grieche, in eine armenische Dorfschule. Diese Bereitwilligkeit aber hatte nicht nur ihren Grund in der Langweile jener Übungsstunden mit Awakian; auch Stephans Seele war verwirrt und gespannt, insbesondere, seitdem Iskuhi und Sato im Hause lebten. Satos wegen hatte es schon einmal einen großen Verdruß gegeben. Stephan nämlich und die Kleine waren eines frühen Morgens plötzlich verschwunden und erst lang nach dem Mittagessen zurückgekommen. Da für Sato üble Folgen drohten, nahm Stephan die Schuld ritterlich auf sich und behauptete, sie hätten sich beim Spazierengehen auf dem Damlajik verirrt. Juliette machte nicht allein Awakian, sondern auch Gabriel eine Szene und verbot dem Knaben, in Hinkunft mit Sato auch nur zu sprechen. Die Vagabundin wurde aus dem Umkreis der Herrschaft völlig verbannt und durfte sich, wenn sie im

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