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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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die Leichen nach dem Willen der Behörden beigesetzt werden sollten. Dort war Platz, es gab Strom, und vor allem würde sie keiner da vermuten. Auch wenn vom Schwur, die beiden Lucarellis bis zur Entlarvung des Täters nicht ins Grab zu bringen, nicht mehr allzuviel geblieben war, wagte niemand zu widersprechen.
    Marta putzte den Asphalt. Als der Lieferwagen vom Friedhof zurückkehrte, glänzte der Boden der Piazzetta dunkel. Unwillkürlich setzten die Männer ihre Füße vorsichtig auf. Hinter Paolo Garzone gingen sie zum Eingangder Kirche und sahen sich den Türflügel an, den die Carabinieri aus den Angeln gebrochen hatten. Der Schaden konnte leicht repariert werden. Man brauchte nur ein paar Nägel, Schrauben, Beschläge und das richtige Werkzeug. Wenn man die Tür neu lackierte, würde niemand einen Unterschied sehen. Alles würde werden, wie es vorher gewesen war.
    Ivan starrte Richtung Meer, als Marta neben ihn trat. Sie stellte den Eimer ab, wrang den Putzlumpen aus und legte ihn auf der Steinbrüstung in die Sonne. Dann kippte sie das Schmutzwasser über die Brüstung. Es prasselte durch die trockenen Blätter der Büsche und klatschte auf die ausgedörrte Erde, die es in Null Komma nichts aufsaugte.
    »Es tut mir leid, Ivan«, sagte Marta.
    Ivan kniff die Augen zusammen. Weit hinten in der flirrenden Luft waren die beiden pyramidenförmigen Silhouetten der Residence Le Vele in Marotta zu erahnen. Ein paar Schritte weiter hatte Ivan jahrelang während der Saison gearbeitet. In der Bar Oasi an der Strandpromenade. Er hatte Espresso, Cappuccino, Caffè freddo, Granita, Coca Cola, drei Sorten kühles Bier und diverse Aperitivi ausgeschenkt. Wenn mal nichts los war und der Chef ihn ließ, hatte er sich auf die Stufen gesetzt und die Mädchen angestarrt, die sich am Strand bräunten.
    »Was soll ich denn noch sagen, außer daß es mir leid tut«, sagte Marta.
    Dann hatte Ivan Marta getroffen. Nein, umgekehrt, sie hatte ihn getroffen. Wie ein Blitz. Wochen, Monate gab es nur sie beide, während die Welt um sie herum von ihrem Glück verschluckt wurde. Irgendwann kehrte der Alltag leise zurück, wie es wohl sein mußte, und sie hatten sich angesehen und waren sich einig geworden, daß es an der Zeit wäre, irgendwo Wurzeln zu schlagen und ihr Leben daraus wachsen zu lassen. Es hätte überall sein können, doch sie waren in Montesecco gelandet. Es war nicht immer leicht gewesen, letztlich aber hatten sie es geschafft.Zumindest hatten sie sich das bis gerade eben einreden können.
    »Ich hätte den Carabinieri nichts sagen sollen«, sagte Marta, »aber ich konnte nicht anders. Und es ist ja nichts passiert.«
    Nein, es war nicht viel passiert. Außer, daß Marta versagt hatte, als es darauf ankam. Und schlimmer noch war, wie die anderen reagiert hatten. »Sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten«, hatte Marcantoni gesagt. Er hatte es nicht vorwurfsvoll gesagt, nicht wütend, sondern voll mitleidigem Verständnis festgestellt. Die Gründe mußten nicht ausgesprochen werden. Es war für jeden sonnenklar, warum sie es nicht ausgehalten hatte: Sie war nicht von hier, der Kampf des Dorfes war nicht ihr Kampf, und er würde es nie werden, selbst wenn sie es irgendwann schaffen sollte, über ihren Schatten zu springen. Das war eben so, und sich darüber aufzuregen war genauso sinnlos, wie sich zu beklagen, daß es bei einem Gewitter regnete.
    Marta legte ihre Hand auf Ivans Unterarm. Sie sagte: »Laß uns fortgehen, Ivan!«
    Ivan stierte in die Ferne. Das graue, klebrige Etwas dort auf dem Hügel war Corinaldo. Ihm schien, daß Mauern und Häuser die Abhänge hinabschmolzen. Er vermied es, Marta in die Augen zu sehen, wollte keine Resignation darin lesen, keine Vorwürfe, keinen Trotz und schon gar nicht das, was sie immer hier fremd hatte bleiben lassen.
    Doch war es wirklich ihre Schuld? Ging es ihm denn anders? Was hatte ihn dazu gebracht, sich in geradezu lächerlicher Weise als Held aufzuspielen? Seine Entschlossenheit am falschen Platz und zur falschen Zeit zu demonstrieren? Ihm war es nur darauf angekommen, die Maske nicht abnehmen zu müssen, die er für sein Gesicht auszugeben pflegte. Unter allen Umständen hatte er dazu gehören wollen. Und das bewies, daß er sich nicht wirklich zugehörig fühlte. Weil auch er ein Fremder war und blieb.
    »Laß uns neu anfangen, Ivan!« flüsterte Marta. »Irgendwo. Anderswo.«
    Acht Jahre. Acht Jahre lebten sie schon in Montesecco, hatten mit den anderen geredet,

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