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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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viel Verstand wie das Schwarze unterm Nagel ihres kleinen Fingers und benutzten es nur, um von einem Glas Wein bis zum nächsten zu denken. Costanza hätte ihnen sagen können, was los war. Und was ihnen noch bevorstand. Sie wußte es, sie roch es.
    »Nerone!« rief sie in Richtung des Nachbargrundstücks, auf dem ein verrosteter Traktor von Brombeeren überwuchert wurde. Nerone war einfach zu verspielt. Er kapierte nicht, daß er manchmal besser Abstand halten sollte. Es war zu gefährlich. Es würde Nerone schon nicht umbringen, wenn er ein paar Tage im Zimmer verdösen mußte.
    »Komm, Nerone!« rief Costanza. Das Brombeergestrüpp begann zu rascheln und zu wispern. Costanza spitzte die Ohren. Die Blätter zitterten zu gleichförmig, plapperten zu unbesorgt darauf los. Es war nur der erste Abendwindhauch, der in ihnen spielte. Dennoch wußte Costanza, daß sie da waren. In irgendwelchen Löchern, unter gestapelten Dachziegeln, in Mauerritzen. Sie schlängelten sich durch zerschlagene Fensterscheiben und züngelten über liegengebliebenes Kinderspielzeug. Sie erstarrten, wenn irgendwo Schritte den Boden erschütterten, und in ihren bösen, lidlosen Augen erwachte die Nacht.
    »Na endlich«, sagte Costanza. Sie beugte sich zu Nerone hinab und tätschelte sein schwarzes Fell. Der Katerbuckelte und rieb seinen mächtigen Kopf am Unterschenkel von Costanza.
    »Ich weiß«, sagte sie, »die Vipern sind da.«
    Noch hielten sie sich versteckt, aber sie waren da. Bald konnte sie keiner mehr übersehen, und dann würde sich herausstellen, wer in Panik verfiel. Wer es nicht einmal aushielt, eine tote Schlange vor Augen zu haben. Und genau den würde Costanza dann fragen, warum er Giorgio Lucarelli getötet hatte.
    »Hab keine Angst, mein Kleiner! Ich passe auf dich auf«, sagte Costanza. Sie hob den Kater hoch und trug ihn ins Haus. Nerone strich um die Beine von Costanza, während sie ihm Wasser mit ein wenig Milch in seinen Napf füllte. Und Hühnerleber stellte sie ihm auch hin. Zum Trost. Auf Leber war er ganz wild.
    »Aber nur ausnahmsweise, Nerone!« sagte sie. Der Kater schnupperte über den Teller, tippte eines der Leberstücke sanft mit der Pfote an und nahm es dann vorsichtig mit den Zähnen auf. Costanza sah ihm beim Fressen zu, als es an der Tür klopfte. Die Wanduhr zeigte Viertel vor neun. Hatte man denn nie seine Ruhe? Costanza grummelte, räumte die Milch weg, wusch sich die Hände und trippelte zur Tür. Es klopfte ein zweites Mal.
    »Wer ist da?« brummte sie mißmutig. Sie öffnete die Tür einen Spalt und blinzelte hinaus. Draußen stand Catia Vannoni. Das Mädchen war viel zu blaß. Das kam davon, wenn man sich immer in seinem Zimmer einigelte.
    »Was ist?« fragte Costanza.
    »Kann ich dich mal sprechen?« fragte Catia. Sie trug ein eng anliegendes T-Shirt und Jeans. Man konnte den Bauch schon sehen.
    »Komm rein, Kindchen!« Costanza zog die Tür auf und schloß sie hinter Catia wieder sorgfältig.
    »Setz dich dorthin!« Mit einer Kopfbewegung deutete Costanza auf den großen Eichentisch in der Mitte des Raums.
    »Und?« Costanza räumte ein Plastiksieb mit Bohnen vom Tisch.
    Catia zog eine Geldbörse aus der Hosentasche und legte zwei Zehntausend-Lire-Scheine auf die Tischplatte. »Ich will wissen, ob es ein Junge wird.«
    »Kindchen«, sagte Costanza, »geh zu deinem Frauenarzt! Der kann dir das besser sagen als ich.«
    »Ich will es von dir wissen.«
    »Los, steck dein Geld wieder ein!«
    »Bitte!«
    Costanza grummelte. Das sah doch ein Blinder, daß da etwas nicht stimmte. Sie fragte: »Willst du es wegmachen lassen?«
    »Nein.« Catia schüttelte entschieden den Kopf. »Ich will nur wissen, ob es ein Junge wird.«
    »Nein, ein Mädchen«, sagte Costanza.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich erkenne es an deinem Bauch. An der Form.«
    »Ein Mädchen. Das ist gut.«
    »Wieso ist das gut?«
    »Weil es keinen Vater haben wird. Für einen Jungen wäre das schlimmer.«
    Costanza umrundete den Tisch und hob den Teller auf, den Nerone inzwischen leer geschleckt hatte. Sie hielt den Teller unter fließendes Wasser und stellte ihn in das Abtropfgitter über dem Spülbecken. So war das also! Sie hatte doch gleich gewußt, daß es um etwas anderes ging. Ein Mädchen braucht keinen Vater? So, so.
    »Du willst wissen, wohin du gehörst, was?« sagte sie. »Zu Matteo Vannoni oder zu Angelo Sgreccia. Zu dem, der dich gezeugt hat, oder zu dem, der dich aufgezogen hat. Du willst wissen, wer dein wirklicher Vater ist.

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