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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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und nahm ein Buch zur Hand:
    Dein rauchiges herz ist zeuge,
    einziger könig, im wind
    dein auge aus trauer.
    Du bist der gesell des zaubers,
    erleuchtet von vielen wüsten,
    von ungehorsam gekrönt.
    Die Schrift verschwamm vor Vannonis Augen. Er ließ das Blatt sinken und legte sich auf den Rücken. Unten hörte er Catia quengeln, doch er wußte, daß Maria da war und sich um die Kleine kümmerte. Sie würde Catia aus dem Bettchen nehmen, ein paarmal auf und ab gehen und irgendeine Melodie summen. Aber du bist nicht fern und früh / oder spät. du bist hier. Alles war in Ordnung, nur der Riß da, an der Schlafzimmerdecke, den mußte er mal verspachteln. Er mußte die Leiter holen, die Spachtelmasse anrühren, jetzt gleich oder doch lieber später, morgen, wenn er ausgeschlafen hatte, wenn wie ein schnee aus luft / und wohnt ...
    Vannoni hörte leichte, schnelle Schritte auf der Treppe und Marias Stimme, die etwas sagte, was er nicht verstand.
    »Was?« murmelte er. Gleich, dachte er, ich komme schon, nur noch einen Moment. ... unerkannt schreitest du, / schöne bö, nächtlich ... Vannoni richtete den Oberkörper auf und stützte sich auf den Ellenbogen ab.
    »Ich will aber nicht, Mamma«, rief Catias Stimme draußen, und Vannoni dachte noch, daß irgend etwas nicht stimmte, ... dein reich kehrt zu dir zurück, / verborgner, gläserner jäger.
    »Maria?« rief er, und schon flog die Tür auf, und da stand ein Mädchen, das schon längst nicht mehr zwei Jahre alt war, das anders aussah als Catia, das nicht Catia war. Vannoni starrte das Mädchen an. Es war die Lucarelli-Tochter, die er über Giorgio ausgefragt hatte.
    »Mamma!« sagte sie leise. Sie wich einen Schritt zurück und schrie die Treppe hinunter: »Mamma, der Mann ist in deinem Schlafzimmer!«
    Vannoni setzte sich auf. Es war zu spät, um abzuhauen. Auf der Bettdecke verstreut lagen ein paar Blätter Papier.
    »Geh hinunter, Sonia, sofort!« sagte Antonietta draußen auf der Treppe. Vannoni verstand nicht, wie er ihre Stimme mit der Marias verwechseln konnte. Er fühlte sich so zerschlagen, daß er nicht einmal vom Bett aufstand, als Antonietta eintrat. Sie blieb vor ihm stehen.
    Eine schöne Frau, dachte Vannoni. Schwarze Augen und ein Blick, der fast so fremd war wie der von Maria. Sie sah ihn kaum an, musterte statt dessen die Blätter rings um ihn, das aufgebrochene Kästchen.
    Vannoni wäre es egal gewesen, doch sie rief nicht um Hilfe.
    Sie fragte: »Woher hast du es gewußt?«
    »Was?« fragte Vannoni.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, du hast es nicht gewußt. Sonst hättest du nicht kürzlich Sonia ausgefragt. Sonst wärst du nicht hier eingedrungen. Sonst hättest du nicht das Kästchen aufgebrochen.«
    »Du hattest es schon geöffnet?« fragte Vannoni.
    Antonietta nickte und legte den Zeigefinger auf einen kleinen Schlüssel, der an einem Kettchen um ihren Hals hing. Sie sagte: »Meine Töchter haben keine Ahnung. Ich will, daß das so bleibt. Laß sie in Ruhe!«
    »Ich ...«, sagte Vannoni. Er brach ab.
    »Giorgio war an jenem Karnevalsabend nicht bei Adriano in Pesaro«, sagte Antonietta. »Das haben wir nur denKindern erzählt. Er hat mir damals eine Szene gemacht. Ob er denn um Erlaubnis fragen müsse, wenn er mal einen Abend außer Haus ginge. Ich habe mich damit zufriedengegeben. Das Foto habe ich ja erst jetzt entdeckt.«
    Das Foto? Vannoni begriff nicht.
    »Wieso hast du Giorgio umgebracht, wenn du es noch nicht gewußt hast?« fragte Antonietta.
    Das Foto? Vannoni blickte auf die Blätter mit den Gedichten. Unwillkürlich zog seine Hand das Kästchen heran, griff hinein, ergriff, was noch drinnen war, breitete es neben sich aus. Briefe, zwei Schlüssel, Zeitungsausschnitte, Münzen und ein Foto. Ein Farbbild, von dem ihm seine Tochter Catia entgegenlächelte.
    »Nur wegen eines vagen Verdachts bringt man doch keinen Menschen um!« sagte Antonietta.
    Giorgio Lucarelli hatte ein Foto von Catia in seinem Schatzkästchen aufbewahrt. Nicht anders als ein erstmals verliebter Teenager. Es war so banal. Vannoni verspürte keinen Haß, keine Empörung. Nur Ekel.
    »Erkläre es mir!« sagte Antonietta.
    »Dein verstorbener Mann schläft erst mit meiner Frau und schwängert fünfzehn Jahre später meine Tochter. Und das soll ich dir erklären?« Vannoni prustete los. War das etwa nicht zum Lachen?
    Antonietta lachte nicht.
    »Ich habe Giorgio nicht umgebracht«, sagte Vannoni. Und wenn Giorgio noch lebte, würde er ihn auch jetzt nicht töten.

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