Die Vipern von Montesecco
gearbeitet, gefeiert, getrauert. Tag für Tag hatten sie sie in der Bar bewirtet, doch all das war nichts wert gewesen. Für das Dorf waren acht Jahre nicht mehr als ein Wimpernschlag. Für Marta und Ivan war es eine lange Zeit. Fast ihr ganzes gemeinsames Leben. Die beiden Kinder waren hier geboren.
Ivan blickte sich um. Noch immer drückte sich Paty an Lidia Garzone. Ihr Kinn grub sich in die Schulter der Alten. Anderswo hätte sie niemanden. Anderswo müßte man erst einmal wieder acht Jahre hinter sich bringen. Vielleicht bedeuteten acht Jahre wirklich nichts. Vielleicht brauchte es eine Generation, um dazu zu gehören. Oder zwei. Wenn es Paty und Gigino nicht schafften, wären deren Kinder vielleicht mal soweit.
Ivan sah Marta an. Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Er sagte: »Wir haben uns.«
»Ja«, sagte Marta.
»Wenn wir zusammenhalten ...«, sagte Ivan. Er küßte Marta auf die Wange. Sie waren vielleicht keine Helden, doch sie hatten Mut genug, nicht einfach davonzulaufen. Montesecco war ihr Zuhause geworden. Sie würden es nicht kampflos aufgeben. Sie hatten ein Recht darauf, hier zu leben, mochten die anderen denken, was sie wollten.
»Wir gehen nirgendwohin«, sagte Ivan. »Wir gehören hierher.«
»Ja«, sagte Marta.
Als sie sich umdrehten, stand der ganze Haufen vor ihnen. Lidia Marcantoni hatte Paty auf dem Arm, und Franco hielt die Hand des kleinen Gigino. Der alte Sgreccia räusperte sich.
»Franco will etwas sagen«, sagte der alte Curzio.
»Du hattest völlig recht, Marta«, sagte Franco Marcantoni.
»Zwei Leichen im Haus, das ging einfach nicht«, sagte Marisa Curzio.
»Nicht, wenn die Kinder den ganzen Tag um sie herumkrabbeln müssen«, sagte Milena Angiolini.
»Es tut uns leid«, nuschelte Franco Marcantoni.
»Uns?« fragte seine Schwester Lidia.
»Mir vor allem«, preßte Franco hervor. Dann beugte er sich zu Gigino hinab, gab ihm einen Klaps und fragte: »Wie wäre es mit einer Sprite für uns zwei Männer? Vielleicht mit einem Schuß Weißwein für den alten Franco?«
»Kein Anschluß unter dieser Nummer.« Eine freundliche Frauenstimme wiederholte den Satz mehrmals. Der alte Curzio unterbrach die Leitung, setzte die Lesebrille auf, legte den Zeigefinger unter die Nummer im Telefonbuch und wählte sorgfältig Ziffer für Ziffer.
»Kein Anschluß unter dieser Nummer.«
Curzio brummte. Er legte den Hörer auf und zog die Karteikarte unter dem Telefonbuch hervor. Er las: Angelo Sgreccia: LKW-Tour nach La Spezia. Sagt Angelo. Beziehungsweise sagt Benito, daß Angelo das sagt.
Nein, das war kein Alibi, das war alles andere als zufriedenstellend. Curzio machte ein Ausrufezeichen hinter den letzten Satz. Angelo hatte ihm gegenüber die Aussage glatt verweigert, und Benito benahm sich so seltsam, daß man ihm nicht mehr über den Weg trauen konnte. Wenn es hart auf hart kam, trennte sich halt die Spreu vom Weizen. Und bloß weil Benito und er dreißig Jahre lang zusammen heimlich Grappa gesoffen hatten, würde er sich von ihm nicht auf der Nase herumtanzen lassen.
»Kommst du?« rief Marisa von unten.
»Gleich!« rief der alte Curzio zurück. So ließ er sich nicht abspeisen. Er rief die Auskunft an und fragte nach der Nummer der Spedition Melli aus Senigallia.
Es dauerte ein wenig, dann sagte die Stimme: »Abgemeldet.«
»Abgemeldet?«
»Ja.«
»Wieso abgemeldet?«
»Keine Ahnung.«
»Die haben nicht zufällig eine neue Nummer?«
»Wenn sie eine neue Nummer hätten, hätte ich Ihnen die neue Nummer gegeben.«
»Also bloß abgemeldet«, sagte Curzio.
»Genau, abgemeldet.«
»Ja, dann«, sagte Curzio. Er bedankte sich und legte auf. Wieso sollte eine Spedition ihr Telefon abmelden? Wie wollten die denn an Aufträge kommen? Da stimmte etwas nicht. Curzio hatte es geahnt. Er suchte die Nummer des Transportgewerbeverbands der Provinz Pesaro-Urbino aus dem Telefonbuch.
»Wann kommst du denn endlich?« rief Marisa von unten. Ohne ihn fing sie nicht zu essen an. Seit Davide sein Praktikum in Rom machte, war das noch schlimmer geworden.
»Wenn ich fertig bin«, schrie Curzio zurück.
Beim Transportgewerbeverband ging niemand ans Telefon. Curzio blätterte durchs Telefonbuch. In Senigallia gab es vier Mellis. Bei der dritten Nummer hatte er Glück.
»Wir haben die Spedition aufgegeben«, sagte der Mann am anderen Ende.
»Ich habe mich schon gewundert«, sagte Curzio.
»Wenden Sie sich halt an jemand anderen. An die Firma Bertoli zum Beispiel.«
»Ja
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