Die Virus-Waffe
trotzdem versuchte er, den Puls an dem
blutigen Hals des Mannes zu ertasten. Als Nächstes beugte
er sich vor und fuhr mit seinen behandschuhten Finger-
spitzen sanft über die Gesichtshaut. Dann sah er genauer
hin und suchte mit beiden Händen nach Wunden, am
Kopf und am Oberkörper. Nach fünf Minuten trat er vom
Bett zurück. Trotz seiner Maske war Gravas seine Verwir-
rung deutlich anzusehen. Nichts, was er an dieser Leiche
gesehen und ertastet hatte, machte Sinn.
Spiros Aristides war eindeutig tot. Gravas hatte eine ers-
te, ungenaue Messung der Körpertemperatur vorgenom-
men, indem er ein einfaches Thermometer zwei Minuten
lang in die Achselhöhle des Toten geschoben hatte. Der
Arzt schätzte, dass der Tod ungefähr vor drei Stunden
eingetreten war. Trotzdem hatte er nicht den leisesten
Schimmer, was den Mann umgebracht haben könnte.
Er war ziemlich sicher, dass der Mann keinesfalls durch
irgendeine scharfkantige Waffe umgebracht worden war,
jedenfalls soweit er sehen konnte. Außerdem hatte er die
Haut unter der blutdurchtränkten Kleidung abgetastet. Ei-
ne Kugel kam auch nicht in Frage. Am Kopf hatte er kei-
nerlei Verletzungen gefunden. Der Oberkörper war eine
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andere Angelegenheit, weil sich dort Wunden befinden
mochten, die vielleicht von dem verkrusteten Blut über-
deckt wurden. Um auf diese Frage eine schlüssige Antwort
zu bekommen, musste er warten, bis er den Toten ins Lei-
chenschauhaus geschafft hatte.
Aber eines wusste er: Was auch immer den Griechen
getötet hatte, es hatte dafür gesorgt, dass sein gesamtes
Blut durch jede Körperöffnung ausgeströmt war. Das blut-
überströmte Gesicht war nicht das Resultat des brutalen
Angriffs eines wahnsinnigen, macheteschwingenden Mör-
ders, sondern das Blut war aus Augen, Nase, Ohren und
Mund geflossen.
So etwas hatte Gravas noch nie gesehen, und er hoffte
inständig, dass er es auch nie wieder sehen musste.
Central Intelligence Agency,
Hauptquartier,Langley, Virginia
David Elias war gerade dabei, seinen Schreibtisch und den
Bürosafe zu verschließen und sich einen Morgenkaffee zu
genehmigen, als sein Telefon klingelte. Der Anruf kam auf
der internen Leitung.
»Elias? Ich habe ein paar Fragen an Sie. Kommen Sie
rauf.«
Der Kaffee musste warten. »Bin schon unterwegs, Sir.«
Als er oben ankam, stand John Nicholsons Tür bereits
offen. Elias klopfte trotzdem und wartete auf eine Reak-
tion, bevor er eintrat. Er baute sich neben dem Ledersessel
vor dem großen Eichenschreibtisch auf. Der Direktor
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wirkte irgendwie gereizt, und Elias überlegte, welcher sei-
ner jüngsten Berichte wohl dafür verantwortlich war, und
ob er einen Rüffel dafür einstecken musste.
Elias war Analytiker und arbeitete erst seit einem Jahr in
der Nachrichtendienst-Abteilung, obwohl er bereits seit
fast zehn Jahren bei der CIA beschäftigt war. Er hatte zu-
nächst für die Regierung gearbeitet, wo er als Erbsenzähler
Frondienste geleistet hatte, bis einem hohen Beamten auf-
fiel, dass er fließend Malaiisch und annehmbar Japanisch
sprach. Daraufhin war er zum Geheimdienst versetzt wor-
den, wo er sich auf den pazifischen Raum spezialisiert hat-
te. Er liebte seine Arbeit.
»Setzen Sie sich, Elias.« Nicholson schaute von dem Ak-
tenordner hoch, der aufgeschlagen vor ihm auf dem
Schreibtisch lag. »Das hier hat nichts mit Ihrer Arbeit zu
tun«, erklärte er. Elias entspannte sich merklich, aber er
war nach wie vor verwirrt. »Erzählen Sie mir etwas von Ih-
ren Fähigkeiten als Taucher.«
»Wie? Wie bitte, Sir?« Elias’ Verwirrung steigerte sich.
»Ihre Taucherei. Haben Sie eine richtige Ausbildung,
oder betreiben Sie das nur als Hobby?«
»Beides, eigentlich, Sir. Ich habe mein erstes Atemgerät
als Teenager bekommen. Ich bin in den örtlichen Tauch-
club eingetreten, habe alle möglichen Scheine gemacht,
und seitdem tauche ich. Ich bin qualifizierter Ausbilder für Tiefseetauchen und habe schätzungsweise fünfzehnhundert Stunden unter Wasser verbracht.«
»Sie sind also auch in große Tiefen getaucht?«
Elias nickte. »Ich war an einigen Projekten in Florida
beteiligt. Dort haben wir in einer Tiefe von etwa hundert
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Fuß gearbeitet. Ein paar Mal habe ich auch exotische Gase
verwendet und stationär unter Wasser gearbeitet.« Er be-
merkte Nicholsons verständnislose Miene. »Man kann in
großen Tiefen nicht mehr mit komprimierter Luft arbei-
ten, Sir«, erklärte er. »Erinnern
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