Die Virus-Waffe
tauchten erste Reporter an der Ab-
sperrung um das Dorf auf. Am frühen Abend schien es In-
spektor Lavat, als hätten alle Zeitungen in Griechenland
wenigstens einen Journalisten dorthin entsandt. Sie stellten unablässig Fragen und schossen Fotos. Am Rande der
Gruppe lungerten sogar einige Korrespondenten der in-
ternationalen Presse herum.
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Ungewöhnlich war nur, dass keiner von ihnen Anstal-
ten machte, die Absperrung zu ignorieren und das Dorf zu
betreten. Dafür redeten sie permanent auf die Polizeibe-
amten ein, welche die Absperrung bewachten, und bom-
bardierten jeden mit Fragen, der sich innerhalb der Ab-
sperrung zeigte. Lavat war klar, dass die Geschichte in we-
nigen Stunden weltweit bekannt sein würde.
Etwa eine Stunde nach Eintreffen des ersten Pressever-
treters rumpelte ein betagter Suzuki-Jeep über die Straße
auf das Dorf zu und blieb kurz vor der Absperrung stehen.
Die beiden älteren Kreter in dem Wagen schauten sich im
ersten Moment erstaunt und verwirrt um, stiegen dann
aus und gingen zu einem der Polizisten an der Absper-
rung.
»Was ist denn hier los?«
»Wir haben hier einen medizinischen Notfall«, wieder-
holte der Polizist das Mantra, das ihm Gravas eingebläut
hatte. »Niemand darf bis auf weiteres Kandíra verlassen
oder betreten.«
»Aber wir wohnen hier!«, brach es aus dem anderen
Mann heraus. »Ich will nach Hause.«
»Das geht leider nicht. Ein Mann ist schon tot, und die
Ärzte befürchten eine Epidemie.«
»Tot? Wer? Wer ist tot?«
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen
nicht sagen.«
Der Reporter einer Zeitung aus Heraklion hatte den
Wortwechsel verfolgt und kam jetzt näher. »Es war ein
Grieche«, mischte er sich ein. »Ein gewisser Spiros Aristi-
des. Das hat mir einer der Gerichtsmediziner erzählt.«
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»Aristides? Aber gestern Abend ging es ihm doch noch
gut. Wir haben ihn bei Jakob gesehen. Was ist denn mit
ihm passiert?«
Der Kreter hatte die Worte kaum ausgesprochen, als der
Journalist schon eine Geschichte witterte. Die beiden wa-
ren zwar keine Augenzeugen des Todes von Spiros Aristi-
des, aber offenbar hatten sie den Griechen nur Stunden
vor seinem Tod gesehen. Und selbst wenn sie nur den Lei-
chenwagen auf der Straße gesehen hätten, konnte er das,
was die Kreter sagten, zu einer Geschichte ausschmücken,
die er im Kopf bereits entworfen hatte.
Er nahm den Kreter am Arm und führte ihn und seinen
Gefährten zu seinem Wagen. Er öffnete die hintere Tür,
nahm zwei Bierdosen heraus, bot sie den alten Männern
an und nahm sich selbst ebenfalls eine.
»Schlimme Sache«, sagte er. »Sehr schlimm. Kannten
Sie Spiros gut?« Er benutzte Aristides’ Vornamen absicht-
lich. Das implizierte Vertrautheit, obwohl er ihn gar nicht
gekannt hatte. Wie er gehofft hatte, trank der ältere Mann
einen Schluck des lauwarmen Biers und wurde gesprächig.
»Nein, ich kannte ihn nicht gut«, gab er zu. »Wir haben
nur ein paar Worte gewechselt, wenn wir uns auf der Stra-
ße oder bei Jakob begegnet sind.«
»Jakob?«
»Das Kafeníon im Dorf.«
»Und gestern Abend?«, hakte der Reporter nach.
»Es war eigentlich wie immer.« Der Kreter deutete auf
seinen Gefährten und trank noch einen Schluck Bier. »Wir
waren bei Jakob, haben ein bisschen gequatscht und ge-
trunken, als Aristides reinkam. Er wirkte müde und ein
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bisschen gereizt. Er trank etwas an der Bar und setzte sich
dann an den Tisch neben uns.«
»Hat er etwas zu Ihnen gesagt?«
Der Kreter schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat nur dage-
sessen und Whisky getrunken, bis Nico hereingekommen
ist.«
»Wer ist Nico?«
»Nico Aristides. Er ist sein Neffe. Ich glaube, sie arbeiten zusammen.«
Mit diesem Nico Aristides musste er so schnell wie
möglich sprechen. »Und dann?«, fragte der Reporter wei-
ter.
»Sie haben zusammengesessen und geredet.«
»Worüber?«
Der Kreter sah seinen Gefährten an, als wollte er dessen
Zustimmung einholen, bevor er antwortete. »Ich weiß
nicht, ob wir Ihnen das sagen sollten«, meinte er. »Spiros
hat ja nicht mit uns geredet. Wir saßen nur zufällig am
Nebentisch. Aber wir haben gehört, wie sie über ein Flug-
zeug gesprochen haben.«
Der Reporter zuckte nicht mit der Wimper. »Ach ja«,
log er dann mit professioneller Überzeugung. »Davon ha-
be ich auch gehört. Was haben sie denn gesagt?«
Anscheinend beruhigte es den von Natur aus misstraui-
schen alten Mann, dass der Reporter
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