Die Virus-Waffe
nur
noch untergeordnete Priorität.
»Das trifft sich ganz gut«, meinte Stein leicht säuerlich.
»Denn unser Superagent schläft ohnehin am anderen Ende
des Flures wie ein Murmeltier. Elias kommt nicht mal oh-
ne Hilfe in die Badewanne, ganz zu schweigen davon, dass
er jetzt tauchen könnte.«
»Stimmt«, pflichtete Krywald ihm bei. »Gut, gehen wir
der Reihe nach vor. Du holst den Wagen ab, ich besorge
Karten von dieser verdammten Insel, dann genehmigen
wir uns einen Drink und überlegen uns, wie wir in dieses
Kandíra kommen.«
243
Popes Creek, Virginia
Charles Jerome »CJ« Hawkins war vor über zwölf Jahren
aus den Diensten der Central Intelligence Agency ausge-
schieden. Im Gegensatz zu den meisten seiner ehemaligen
Kollegen war er jedoch nicht mit seiner gesamten Familie
nach Florida gezogen, in »Gottes Wartezimmer«, sondern
in der Gegend geblieben, in der er lange Zeit seines Lebens
gewohnt und gearbeitet hatte.
Er besaß ein elegantes Haus am Rand der Kleinstadt
Popes Creek mit Blick auf den Potomac, einige Meilen
südlich von Washington, D.C. Hier lebte er geruhsam mit
seiner Frau Mary. Ihre drei Kinder waren schon lange er-
wachsen und hatten eigene Familien gegründet. Zwei leb-
ten in Idaho und eins in Michigan.
Fast während seiner ganzen aktiven Zeit bei der CIA
hatte Hawkins in der Abteilung Einsatzplanung gearbeitet,
davon den größten Teil in der Abteilung Verdeckte Opera-
tionen. Er war für Desinformation und Propaganda zu-
ständig gewesen. In dieser Zeit hatte er an hunderten von
Einsätzen teilgenommen, von denen etliche erfolgreich
waren, die meisten jedoch nicht, aber nur eine einzige Mis-
sion bereitete ihm selbst heute noch schlaflose Nächte.
Nicht wegen des Einsatzes selbst – Hawkins hatte fest an
das geglaubt, was sie taten –, sondern wegen der möglichen
Auswirkungen für die CIA und sogar für Amerika, falls die
Einzelheiten jemals durchsickerten.
Heute Morgen war dieser Albtraum aus der Vergan-
genheit leibhaftig auferstanden. Es fing mit einem ganz
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harmlosen Telefonanruf an. Die Stimme am anderen Ende
kam ihm vage bekannt vor, obwohl sie das letzte Mal vor
fünf Jahren miteinander gesprochen hatten.
»Wir müssen uns treffen«, sagte der Mann. »Man hat es
gefunden.«
Hawkins schwieg einen Moment. Als er antwortete, zit-
terte seine Stimme leicht. »Wann?«
»Vor ein paar Tagen.«
»Hast du es den anderen schon gesagt?«
»Nur Richards. Butcher liegt in einem Krankenhaus in
Baltimore im Koma. Es steht schlecht um ihn.«
»Wann und wo treffen wir uns?«, wollte Hawkins wis-
sen.
»Heute Abend. Wir müssen rasch handeln. Fahr zum
Lower Cedar Point, westlich von Morgantown. Um Viertel
nach acht. Parke dicht am Wasser. Ich finde dich.«
Central Intelligence Agency,
Hauptquartier,Langley, Virginia
John Westwood war seit etwas über drei Jahren der Chef
der Foreign Intelligence, der Auslandsaufklärung. Bis da-
hin hatte er nur in der Abteilung Einsatzplanung der CIA
gearbeitet, deren Mitarbeiter zum größten Teil außerhalb
der Vereinigten Staaten agierten. Die Vorstellung, nach so
vielen Jahren im aktiven Außendienst plötzlich hinter ei-
nem Schreibtisch hocken zu müssen, begeisterte ihn nicht
sonderlich. Aber diese Beförderung war aufgrund seines
Alters unausweichlich, und außerdem war er als Abtei-
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lungsleiter nach wie vor entscheidend an der Durchfüh-
rung der ausländischen Einsätze beteiligt.
Seit seiner Beförderung hatte er es sich zur Gewohnheit
gemacht, alle neuen Einträge in der Hauptdatenbank aufzu-
rufen, welche die Priorität »3« oder höher hatten, vor allem die aus den geographischen Regionen »D«, »E« und »G«,
also aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, aus Süd-
europa und dem Nahen Osten. In diesen Gebieten liefen die
meisten Spionageaktionen der CIA. Aber er überflog auch
die anderen Regionen. Der »F2«-Kode mit der angehängten
Schlagzeile » Kretische Epidemie in Zusammenhang mit ab-
gestürztem Flugzeug «faszinierte ihn so sehr, dass er die Übersetzung nicht nur las, sondern auch ausdruckte.
Die Athener Zeitung hatte den Artikel des Lokalrepor-
ters auf Kreta übernommen, und es gab nur wenig wirk-
lich aufschlussreiche Informationen über den Zwischen-
fall. Doch die beiden zitierten Griechen aus Jakobs Bar hat-
ten genug von Aristides’ Gespräch belauscht, um die Ge-
schichte interessant zu machen. Auch wenn sie alles dem
Reporter
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