Die Vision
und dann murmelte er in einem Dialekt etwas, das sich für mich wie ›zu häßlich‹ anhörte.
»Malachi, geht Ihr –« setzte ich in Englisch an, doch Bruder Malachi gebot mir mit einem scharfen Blick Schweigen, und dieser Blick paßte so gar nicht zu ihm, so daß ich ganz verstört war.
Darauf sagte er fröhlich und ebenfalls auf Englisch: »So lebt denn wohl, meine Lieben. Und was auch immer ihr tut, nehmt Sim mit .«
»Ja, natürlich, Malachi«, antwortete Mutter Hilde so gelassen wie nur möglich. In genau dem gleichen Ton pflegte sie zu sagen ›das Kind atmet nicht mehr‹. Wirklich bewundernswert, diese Mutter Hilde. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie geradewegs in die Hölle marschiert und dem Teufel sagt, er solle das Feuer ausmachen, das er gerade schürt, denn oben sei es zu warm, und das in eben diesem Ton. Als sie noch meine Lehrmeisterin war, sagte sie immer:
»Margaret, es gibt Zeiten, da kommt es nur auf die Festigkeit an.«
Kurz vor Mittag trieb uns Bruder Malachi in einer Schar von Nichtstuern auf dem Turnierplatz auf, wo wir zusahen, wie die Knappen zu Pferd ausgebildet wurden, und sagte auf Englisch:
»Meine Lieben, wir wollen nach unseren Pferden sehen.«
»Unsere Pferde?« fragte ich. Als ob wir die gehabt hätten.
»Ja, Margaret. Unsere Pferde, die hier in der Nähe im Stall stehen«, wiederholte er fest, während mir Mutter Hilde einen warnenden Blick zuwarf. Wir folgten ihm wortlos.
»Dort treffen wir vermutlich niemand, der Englisch spricht«, sagte Bruder Malachi und betrachtete ernsthaft die Kruppe eines Pferdes in seiner Box. »Aber man weiß ja nie bei den ganzen Söldnern hier«, fügte er hinzu und ging zur nächsten Box. Während er sprach, starrten wir alle auf den hin- und herwedelnden Schwanz des Pferdes.
»Die hier haben alles, wovon unsereins nur träumen kann. Wunderbare Gerätschaften. Ihren eigenen Glasbläser. Sechs Helfer. Und Messer Guglielmo, welcher der größte Einfaltspinsel Europas sein dürfte, weiß nichts damit anzufangen. Er ist erst halb so weit wie ich. Hält nichts schriftlich fest – das ist seine Schwäche. ›Warum etwas aufschreiben, das nicht geklappt hat?‹ fragt er auch noch. Der Narr! Damit es nicht noch einmal passiert, darum! Außerdem kann man auf etwas stoßen, und dann weiß man nicht mehr, wie man dorthin gelangt ist. Er hat ein Verfahren laufen, welches er seit über einem Jahr bei leichtem Feuer hält. Und zweitausend Eier, die er sechs Monate lang vergraben hat, aus denen wollte er die Quintessenz des Eis herausziehen. Ein starker Stoff, wenn er Erfolg gehabt hätte. Aber pfui! Was für ein Gestank! Ich weiß gar nicht, wieso ihr euch über mich beschwert! Aber was für ein Laboratorium! Philosopheneier jeglicher Größe! Pelikane und Kürbisse, was das Herz begehrt! Eine Aludel, so groß, daß man ein ganzes Zicklein darin sieden könnte! Mit solch einem Laboratorium wäre ich für den Rest meines Lebens ein glücklicher Mensch.«
Irgend etwas war mit Bruder Malachi los. Seine Worte klangen wie gewohnt, seine Stimme jedoch nicht. Wir gingen zur nächsten Box weiter.
»Bücher. Sie haben Bücher, die ich immer haben wollte. Die verbotenen Schriften des Arnold von Villanova. Graecus' Buch der Feuer . ›Ei, da habt Ihr ja auch die Mappae Clavicula ‹, sage ich. ›Ja‹, sagt dieser Dominikaner, dieser Höllenhund. ›Wenn Ihr bleiben und sie kopieren möchtet, so seid der Gastfreundschaft meines Herrn versichert.‹ Da wußte ich, daß er nicht die Absicht hatte, uns ziehen zu lassen.« Malachi blickte uns an. Nur ein paar Stunden, und schon wies sein Gesicht tiefe Falten auf. Und unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
»Dann habe ich mich mit Messer Guglielmo unterhalten. Habe herumgeschnüffelt und kritisiert. Danach wußte ich Bescheid. Es war, wie ich vermutet hatte.« Seine Stimme klang gequält. »Sie nehmen das falsche Fixativ. Das, wovon ich dir erzählt habe, Hilde. Häßliche, braune Spritzer überall. Gott allein weiß, wo sie die Knochen vergraben. Dazu schwarze Kerzen. Die hatten sie versteckt, aber ich habe in einer Nische einen Stummel entdeckt, den sie vergessen hatten. Vergib mir, vergib mir, Hilde. Es schien alles so einfach, als mir die Idee dazu kam. Ich hätte weitere Nachforschungen anstellen sollen. Ich hätte es ahnen sollen. Aber anscheinend hat uns meine Sorglosigkeit ins Verderben gestürzt.« Er blickte sie verzagt an, doch ihr starkes Herz ließ sie nicht einen Augenblick im
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