Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
sich um Protokolle handelte. Beglaubigte Abschriften von Gerichtsprotokollen aus Kleve, Neuss und anderen Städten, in denen ihre Person aufgefallen und bekannt war. Auf ihrem Nacken glaubte sie den kalten Stahl des Henkerbeils zu spüren.
»Nun?« fragte der Kaufmann mit aufreizender Milde und lächelte die Schaffnerin höhnisch an. »Was willst du mir also sagen, elende Hure?«
Anna befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. Sie hatte sich entschlossen, noch nicht aufzugeben. »Ihr seid ein ausgezeichneter Geschäftsmann, heißt es, einer, der gute Gelegenheiten erkennt und zu nutzen weiß«, begann sie. Ihr Gehirn arbeitete fieberhaft, während van Geldern sie mit dem Blick einer Katze bedachte, die sich Zeit lassen kann, zuzuschlagen.
»Wenngleich«, fuhr Anna fort, »Eure Finanzen, wie man sagt, in letzter Zeit etwas erschüttert waren.«
Van Geldern hob spöttisch seine linke Braue, sein Mund entspannte sich, er war wieder schmerzfrei.
»Das Vermögen Eurer Schwägerin hingegen ist groß und sicher angelegt. Eine Schande, daß es nicht für ein hübsches Geschäft genutzt werden kann.«
»Sie nutzt es für ihren Konvent und fromme, gottergebene Seelen wie dich«, warf van Geldern spöttisch ein.
»Wie Ihr eben selbst festgestellt habt, bin ich so fromm nicht«, erwiderte Anna unverfroren und setzte damit alles auf eine Karte.
Der Kaufmann schwieg eine Weile, dann sagte er knapp: »Deine Frechheit ist erstaunlich.«
Anna begriff es als Aufforderung, weiterzureden. »Die Kornmeisterin starb, wie gesagt, in der letzten Nacht. Ein Treppensturz.«
»Was hat das mit Rebeccas Vermögen zu tun?«
»Eine Ketzerin geht ihres Vermögens schnell verlustig.«
»Eine Ketzerin ja, eine Mörderin nicht. Sie kann in ihrem Testament frei darüber verfügen.«
»Es war kein einfacher Mord, Herr. Ein Messer war im Spiel. Die Brust der Toten war aufgeritzt. Das Wort Jesus stand in Blut darauf geschrieben.«
Der Kaufmann fuhr hoch. »Du elende Teufelin. Das ist deine Handschrift. So warst es also du, die meine Frau gemetzelt hat, du, die ...«
Anna beugte sich jäh zu ihm über den Schreibtisch: »Kam Euch das so ungelegen? Habt Ihr nicht von Eurer Frau eine hübsche Summe geerbt? Seid nicht so empfindlich. Die Messerschnitte töteten sie nicht, ein gewisses weißes Pulver ließ sie ruhig entschlafen. Ein Pulver, wie auch Rebecca es leicht mischen könnte, irregeleitet durch ihren religiösen Wahn. Man müßte den Gewaltrichter nur auf diese Spur setzen, der Rest würde sich von alleine fügen.«
»Hinaus, du Mörderin! Oder ich zeige dich an.«
Anna richtete sich auf und nahm seelenruhig in dem Stuhl ihm gegenüber Platz. »Ihr täuscht mich nicht, van Geldern. Eine Anzeige gegen mich ist das letzte, was Ihr wünscht. Ihr hättet es längst tun können, aber Ihr scheut den Verdacht, der auf Euren Namen fallen könnte. Hatte Eure Tochter Columba nicht schon verschiedentlich Umgang mit Wiedertäufern, und war es nicht dieses Messer, mit dem Katharina verstümmelt wurde? Ich weiß mehr, als Euch lieb sein kann.« Sie hielt das Papiermesser hoch, die Spitze auf ihn gerichtet.
Der Kaufmann sank in seinen Stuhl zurück. »Keiner würde auf die Worte einer so elenden Metze hören.«
Anna lächelte kalt. »Ihr habt recht«, sagte sie zur Verblüffung des Kaufherrn, »und nun zum Geschäft. Wenn es mir gelingt, den Ketzerverdacht gegen Rebecca zu erhärten, dann fehlt es nur an einem Ankläger, dessen Wort Gewicht hat. Nicht nur beim Gewaltrichter. Auch beim Rat, der allein die Sache dem Greven übergeben kann. Das Ganze gelingt nur, wenn das geistliche Gericht des Kurfürsten sich der Sache annimmt. Wenn Galisius ...«
Van Gelderns Augen verengten sich zu funkelnden Schlitzen. »Ich will mit diesem Mann nichts zu schaffen haben.«
»Früher oder später wird Rebecca mit ihm zu schaffen haben. Galisius ist ein erbitterter Gegner der weiblichen Laienkonvente. Er wird die Untersuchung betreiben. Rebecca selbst hat schon um seinen Beistand gebeten ...«
»Rebecca? Das ist Wahnsinn.«
»Freilich«, sagte Anna mit unbekümmerter Stimme, »ich konnte sie eben noch davon abhalten. Was, wenn sie sich selbst der Ketzerei anklagte? Wenn sie – ohne Eure Anzeige – überführt würde? Ihr ganzes schönes Vermögen würde der Kirche zufallen. Ihr seid Geschäftsmann genug, um diese Möglichkeit zu verabscheuen. Wenn Ihr hingegen mit mir zusammenarbeitet, gehört ein stattlicher Anteil Euch. Ich verlange nur einen bescheidenen Lohn.
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