Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
hinauf. Vor der Kammer der Magistra angelangt, schlug er noch einmal ein Kreuz, dann schob er erregt und beseligt den Riegel zur Seite.
Finsternis empfing ihn. Noch immer waren die kleinen Fenster der Zelle so vollständig abgedichtet, daß auch der stärkste Mondstrahl keine Ritze fand. Mit kleinen Schritten schaffte er es bis zum Bett seiner Angebeteten. Er kniete davor nieder und rief sie leise an: »Rebecca, hörst du mich?«
Stille.
Noch einmal wiederholte der Diakon seinen Ruf. Die Gestalt im Bett regte sich leise und seufzte. »Rebecca, bist du wach?«
Keine Antwort.
»Ich bin gekommen, um gemeinsam mit dir Gott zu empfangen. Siehst du ihn?«
Heftiges Atmen war die Antwort. Wieder ein Seufzen und dann eine Stimme, die fremd in den Ohren des Diakons klang, dabei lockend und süß war. »Ja, ich sehe Jesus Christus, dessen Braut ich bin. Er zeigt mir alle seine Wunden, und er ist süß wie die Liebe und wie der Tod.«
»Sprich mehr von ihm!« rief der Diakon verzückt und wagte es, seine Arme über den Leib der Frau zu legen. Sie wand sich ein wenig, und er glaubte ihre Brüste unter der groben Decke zu spüren. Seine Hände entspannten sich.
Juliana bemerkte es mit Ungeduld, langsam schob sie die Decke mit den Beinen beiseite. Ihre nackte Haut würde den dummen Kerl gewiß endgültig entflammen.
Der aber bettelte weiter, um Beschreibungen des Gekreuzigten. »Wie sieht er aus, dein himmlischer Bräutigam?« drängte er.
»Er ist beschaffen wie jeder Mann, und er ist nackt in seiner ganzen Schönheit.«
»Oh, ich wußte es, ich wußte es. Erzähle mir mehr.«
»Er durchstößt mir Herz und Schoß in jeder Nacht mit Pfeilen und Speeren, damit ich seine Wunden mit ihm teile.«
»Göttliche!« Der Diakon richtete sich auf, die Hände zum Gebet gefaltet, sein Blick fiel auf die entblößten Fesseln Julianas, ein Rauschen durchfuhr ihn, eine Welle von Süßigkeit und heiligster Wollust. Hingerissen hob der Diakon die Decke weiter an, entdeckte, daß die Frau darunter nackt war und gab sich endgültig dem Taumel seiner frommen Lust hin. »Sag, was du fühlst«, bat er flehend.
»Nichts als die lautere Liebe Gottes und seine Wärme in deinen Händen.«
»In meinen Händen?« Es gab kein Halten mehr, der Diakon richtete sich ganz auf, streifte hastig seine Gewänder ab und legte sich zu der Frau in das Bett. Nur ein Rest der Decke trennte ihre Körper noch voneinander. Die vollkommene Dunkelheit erhöhte seine sinnliche Lust. Obwohl die Kammer kühl war, glaubte er, daß sein Leib brannte und auch der Leib der Geliebten war wie aus fließendem Feuer geformt. Mit hastiger Lust riß er die Decke ganz von ihr herab. Die Begine schien willig, er sah das Gesicht der Madonna von St. Alban vor sich, schmeckte das weiche weiße Fleisch der Frau und versank endlich in ihr. Kurz war der Akt, aber vollständig seine Verzückung. Als es vollbracht war, sank er erschöpft neben sie. »Rebecca«, stöhnte er voll Liebe und Dankbarkeit.
Der Leib neben ihm verhärtete sich, spannte sich wie ein Stück Bogenholz. Juliana setzte sich auf. »Rebecca?« rief sie höhnisch.
Der Diakon glaubte, vom Himmelstor herab direkt in den Schlund der Hölle zu fallen. Ihm stockte der Atem, dann riß er sich von der jungen Frau los. »Unmöglich«, stammelte er. »Unmöglich, du kannst nicht ...«
Juliana schnitt ihm das Wort mit dem Messer ab. Sie hatte es die ganze Zeit unter dem Kopfkissen verwahrt und es im Augenblick seiner höchsten Lust und größten Schwachheit hervorgezogen. Ohne zu zögern stieß sie den blanken Dolch jetzt in die Brust des Mannes, dahin, wo sein Herz pochte. Sein entsetztes Röcheln klang nicht weniger erbärmlich als das eines verendenden Schlachtviehs, das den Tod unter ebensolchen Schmerzen empfängt wie wir. »Denn der Mensch ist wie das Vieh, und es ist alles eitel«, dachte Juliana kalt, dann brachen die Tränen aus ihr heraus.
Sie hatte getötet, was sie am meisten geliebt hatte. Sie fühlte sich ganz und gar nicht wie eine zum Engel Erwählte. Der Diakon hatte sie in allem belogen und betrogen. Der Diakon hatte ihr Leben zerstört. Der Diakon hatte sie in dieser Nacht zur Frau und zur Mörderin gemacht. Sie konnte nicht aufhören, ihn zu hassen, ihn zu lieben.
10
N ach dem dritten Krug Wein hatte sich der Freiherr endlich ganz aufs Jammern verlegt. Beredt und betrunken schilderte er die Schmerzen seines Verlustes, malte Bilder des eigenen Elends als verschmähter, verspotteter, verzweifelter
Weitere Kostenlose Bücher