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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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... Van Geldern spürte, wie sein Blut heftig zu pulsieren begann. Ja, das war es! Ein Lächeln stahl sich in sein Fuchsgesicht, und noch einmal fühlte er sich jung. Jung wie damals, als er – noch in Brügge – sein erstes heimliches Geschäft gemacht hatte. Mit seinem Kompagnon, der so vertrauensselig gewesen war wie sein dunkles, sanftes Gesicht ... Plötzlich wußte er, woher er das Gesicht des Bartlosen kannte. Unmöglich! Das Blut schoß zu seinem Herzen zurück, so rasch wie es eben belebend durch seine Adern gejagt war. Er trat an den nach flämischer Sitte gekachelten Kamin, um sich zu erwärmen. Die Flammen tanzten und leckten gierig um das frisch aufgeschichtete Holz. Das Leben war immer voller Gefahr. Aber, sagte sich der Kaufmann, Gefahr hatte er nie gescheut. Das eben hatte ihn einmal so reich und so mächtig gemacht.
    In der Vorhalle schlug eine Glocke. Sie rief ihn zum gemeinsamen Essen mit Gesinde und Angestellten. Der ganze Haushalt sollte bei dem Leichenschmaus der Herrin Katharina gedenken.
    Am langen, schwarz abgedeckten Tisch im Morgensaal angelangt, vermißte der Kaufmann ein Gesicht. »Wo ist Columba?« fragte er Mertgin, die ihm den Wein auftrug.
    »Zu Bett, Herr, sie fühlt sich nicht wohl.«
    Auch der Dürre fehlte – hoffentlich tat er seine Pflicht und stieg nicht der elenden Begine nach.

IV.
    Fluchtversuche
    1
    C olumba unterdrückte ein Gähnen. Feuchte Kälte fing sich in der Mauernische und kroch ihr unter Umhang und Rock, der Boden unter ihren Füßen war von brackigem Wasser durchtränkt und roch faulig wie Abfall. Ein unbequemes, aber sicheres Versteck. Seit einer Stunde harrte sie nun schon hier aus. In regelmäßigen Abständen hallten die festen Tritte der Mauerwächter auf den Holzbohlen des Wehrganges über sie hinweg. Die Kniestücke ihrer Harnische und die Sporen an den Stiefeln klirrten leise. Wenn zwei sich begegneten, tauschten sie derbe Scherzworte oder verfluchten die kalten Nebelschwaden, die vom Fluß zu ihnen aufstiegen. Columba fror nicht, zum einen, weil sie doppelte Kleidung trug, aber auch, weil Erregung ihr Blut warm pulsieren ließ – Abenteuerlust vermischt mit Angst. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß ihr kühner Plan gelingen würde. Verächtlich dachte sie an Junker Fritjof, noch verächtlicher an Lazarus, der eine töricht, der andere ein wortgewandter Zauderer.
    Kurz vor der Wachablösung würde sie aus dem Schatten gleiten, ihren Spruch vortragen, und der Rest wäre ein Kinderspiel, wenn sie erst im Turm war. Die Glocken von Groß St. Martin fingen an zu läuten, riefen zur Laudes. Die ersten Karren rumpelten übers Pflaster, Fuhrknechte riefen sich heisere Grüße zu, husteten im Nebel, stolperten im Dunkel, Gebete murmelnd zogen alte Weiblein auf die Kirche zu. Riegel knirschten, die Scharniere eines nahegelegenen Tores gaben seufzend nach. Der Tag begann, bevor der Morgen graute. Die Mauern wurden für die heranziehenden Bauern, Händler und Marktweiber geöffnet. Columba drückte sich tiefer in ihr Versteck. Nur eine halbe Stunde noch.
    Eben graute der Morgen, als der Greve – höchster Richter des Erzbischofs in der Reichsstadt, Herr über Leben und Tod und allein berechtigt, überführte Ketzer zu verurteilen – beim Frankenturm anlangte. Zwei kurfürstliche Schöffen gingen an seiner Seite. Ihnen voran schritt feierlich der Rutenträger des Hohen Gerichts. Seine buntgestückelte, leuchtende Kleidung täuschte ein wenig über die Ernsthaftigkeit seines Amtes hinweg, nicht so seine Miene. Columba erschrak, als sie ihn erblickte. Kam sie zu spät? Steinern war sein Gesicht unter dem schwarzen, hohen Spitzhut. Mit beiden Händen trug er den Richterstab vor sich her, der nach vollendetem Prozeß über dem Angeklagten gebrochen werden würde oder nicht. In diesem Falle freilich gab es über den Ausgang keinen Zweifel.
    Die Überlieferung des Ketzers Luthger, genannt der gebrannte Kopp, war in der Woche zuvor vom Rat beschlossen worden. Die Magistratsherren waren sonst zögerlich, wenn es darum ging, Angeklagte an das Hochgericht des Kurfürsten und damit ein Stück ihrer Macht aus den Händen zu geben. Diesmal hatten sie einhellig zugestimmt. Gnade war unmöglich geworden. Der unbelehrbare Delinquent hatte vor Cassander, dem Turmmeister und einem Priester alle Heiligen als Götzen beschimpft. Auch nachdem man ihn auf dem Alter Markt dafür gestäupt und mit dem Halseisen gedroht hatte, bekannte der halsstarre Greis sich mit lauter

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