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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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sam­mel­ten sich un­ter Trä­nen um Je­sus her­um. Ei­ni­ge trau­er­ten höchst wort­reich. Zu Bru­der Pauls Zei­ten hat­te der Aus­druck ‚kla­gen’ einen ne­ga­ti­ven Bei­ge­schmack, doch hier klang die Kla­ge echt: die lei­den­schaft­li­che Äu­ße­rung äu­ßers­ter Be­stür­zung, die Mark und Bein er­schüt­ter­te, und an de­ren Auf­rich­tig­keit nicht zu zwei­feln war. Abend­län­der konn­ten Ge­füh­le nicht so of­fen zei­gen, und viel­leicht war dies ein Man­gel.
    Je­sus rich­te­te sich auf und er­griff zum ers­ten Mal, seit Bru­der Paul zu der Grup­pe ge­sto­ßen war, das Wort. „Oh Töch­ter Je­ru­sa­lems, weint nicht um mich. Weint um euch und eu­re Kin­der!“
    Über­rascht ver­stumm­ten sie. Je­sus re­de­te wei­ter zu ih­nen, doch Bru­der Paul, der mit­hö­ren woll­te, wur­de durch ei­ne gro­be Hand auf der Schul­ter ge­stört. Er­staunt dreh­te er sich um. Dort stand ein rö­mi­scher Söld­ner mit sei­nem ein­drucks­vol­len Helm, Pan­zer­hemd und ge­gür­te­tem Kurz­schwert.
    „Statt­hal­ter Pi­la­tus will mit dir spre­chen“, sag­te der Sol­dat kurz­ab.
    Oh nein! Das war das letz­te, was Bru­der Paul woll­te, sich in die Ge­schich­te hin­ein­zie­hen las­sen! Na­tür­lich hat­te er kei­nen Ein­fluß auf die wirk­li­che Ge­schich­te, aber wenn sei­ne An­we­sen­heit die Ani­ma­ti­on ver­zerr­te, wür­de er die Wahr­heit nicht fin­den kön­nen. War die Rea­li­tät des Hei­li­gen Geis­tes et­was prin­zi­pi­ell Un­er­kenn­ba­res?
    Nein! Es war bes­ser zu glau­ben, bei der Kreu­zi­gung sei ein Mensch wie er da­bei ge­we­sen, der mit Pon­ti­us Pi­la­tus ge­spro­chen hat­te. Bru­der Paul steck­te le­dig­lich als Gast in des­sen Kör­per, wie bei dem Trans­fer, von dem der au­ßer­ir­di­sche Be­su­cher An­ta­res ge­spro­chen hat­te. Er muß­te sich ein­fach dar­auf ein­las­sen und mit­spie­len. So­lan­ge er nicht be­wußt aus der Rol­le fiel, wür­de al­les in Ord­nung sein.
    Pi­la­tus wirk­te ein­drucks­voll in der of­fi­zi­el­len rö­mi­schen Tu­ni­ka und dem be­stick­ten Man­tel und saß auf ei­nem präch­ti­gen Hengst. Hin­ter ihm flat­ter­te die rö­mi­sche Fah­ne un­ru­hig in dem auf­kom­men­den Wind. Fast schi­en der rie­si­ge Ad­ler zu flie­gen. Oh, die In­si­gni­en der Macht wa­ren schon be­ein­dru­ckend!
    Der Statt­hal­ter starr­te hin­ab auf Bru­der Paul. „Du scheinst an die­sem Vor­gang ein un­ge­wöhn­li­ches In­ter­es­se zu he­gen, und du stammst nicht aus Je­ru­sa­lem. Ge­hörst du zu den An­hän­gern die­ses Man­nes?“
    Bru­der Paul stand wie er­starrt. War er wie Si­mon ei­ner, der sei­nen Glau­ben ver­leug­ne­te? Aber er war kein An­hän­ger in dem von Pi­la­tus ge­mein­ten Sin­ne, kei­ner der Zwölf. „Ich bin kein Jün­ger“, sag­te Bru­der Paul vor­sich­tig. „Aber ich glau­be an die Gött­lich­keit von Je­sus Chris­tus.“ Aber war das nicht auch schon ei­ne Lü­ge? Er war hier, um die Au­ra in Je­sus zu ve­ri­fi­zie­ren, si­cher­zu­stel­len, ob es ei­ne künst­li­che, durch Ma­schi­nen her­bei­ge­ru­fe­ne Sa­che war oder der le­ben­di­ge, hei­li­ge Geist Got­tes. Wie konn­te er zu glau­ben vor­ge­ben, wenn sei­ne Ob­jek­ti­vi­tät von ihm ver­lang­te, daß er vor­sich­tig mit sei­nem Ur­teil um­ging? „Zu­min­dest glau­be ich, daß er der …“
    „Der Kö­nig der Ju­den ist?“ frag­te Pi­la­tus. Plötz­lich er­kann­te ihn Bru­der Paul: The­ri­on! Auch die rö­mi­schen Sol­da­ten wa­ren The­ri­on ge­we­sen, aber die­se Rol­le paß­te bes­ser.
    „Viel­leicht“, stimm­te Paul mit ge­preß­ter Stim­me zu. Der Le­gio­när ne­ben ihm ver­la­ger­te das Ge­wicht von ei­nem Bein auf das an­de­re. (Konn­te ein Schau­spie­ler in ein und der­sel­ben Ani­ma­ti­on zwei Rol­len spie­len? Of­fen­sicht­lich.)
    „Bist du des Schrei­bens kun­dig?“ frag­te Pi­la­tus.
    Da sich der ver­ba­le Teil die­ser Ani­ma­ti­on in Bru­der Pauls Mut­ter­spra­che ab­spiel­te, schi­en die An­nah­me si­cher, beim schrift­li­chen sei es eben­so. „Ja.“
    „Ja, Herr“ bell­te der Sol­dat. „Er­wei­se dem Statt­hal­ter dei­nen Re­spekt!“
    Bru­der Paul rief sich in Er­in­ne­rung, daß er

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