Die Visionen von Tarot
schon mit den Frauen in der Küche angefreundet. „Daddy, kann ich heute morgen nicht hierbleiben?“ fragte sie fröhlich. Paul dachte nach. Kinder und Tiere waren nicht immer sehr willkommen in einer Küche. Doch die Frauen waren einverstanden. Daher sorgte er dafür, daß seine Tochter Bescheid wußte, wo er zu finden war, und ließ sie dort zurück. Eigentlich hatte David White für eine Studentin gesorgt, Susan, die auf Carolyn aufpassen sollte, wenn Paul mit dem Kursus beschäftigt war. Susan hatte einen Kopf voller Ringellocken und schien ein nettes Mädchen zu sein; er war sicher, daß alles so in Ordnung war.
Weiter zu der Morgen Veranstaltung. Das Zentrum ist leer, fiel ihm wieder ein. Es sollte drei Diskussionsgruppen geben, eine jede von zwei Personen geleitet. Und wie man es nicht anders erwarten konnte, tauchten nur sechs Personen auf. Keine Studenten. Dieser Aspekt des Studentenlebens hatte sich überhaupt nicht verändert. Theoretisch gesehen kamen die Studenten wegen Erziehung und Ausbildung hierher, doch in der Praxis war jedes Seminar, das früh am Morgen stattfand, zum Scheitern verurteilt.
Schnelle Beratung – dann wurden die drei Gruppen zusammengelegt. Sie diskutierten, welche Themen diskutiert werden sollten. Ein paar weitere Personen kamen noch hinzu, als seien sie zufällig vorbeigekommen und auf dem Weg zu anderen Routinebeschäftigungen, durch irgendeine Strömung hereingetragen, bis schließlich etwa fünfzehn Personen zusammenkamen.
Insgeheim schüttelte Paul den Kopf. Genauso war es zu seiner Zeit gewesen. Die Studenten wollten einen Abschluß – ein Stück Papier, daß ihre Ausbildung und Kenntnisse bescheinigte –, ohne tatsächlich an dem Schlauch der einzelnen Kurse teilgenommen zu haben. Heute war nun zufällig der erste schöne Tag seit langem, und jeder war mit Freund oder Freundin unterwegs, um sich an der Natur zu erfreuen. Was an sich nicht schlecht war. Paul wußte nur zu gut, daß man eine Entwicklung nicht herbeizwingen konnte. Wenn seine eigene Akte die wirkliche Erziehung wiedergegeben hätte, würde seine Teilnahme an Kursen nur etwa ein Drittel ausgemacht haben. Und das wäre noch mehr als beim Durchschnitt gewesen, denn er hatte intellektuelle Neigungen besessen.
Es war übrigens eine sehr gute Diskussion, und es machte Paul Spaß. Er selber beteiligte sich nur sehr wenig, nicht weil er schüchtern, gelangweilt oder uninformiert gewesen wäre, sondern weil er eben dies nicht war. Er brauchte niemandem etwas zu beweisen, indem er den Kursus dominierte. Uninteressierte oder unwissende Studenten waren nicht anwesend, sondern nur ernsthafte, interessierte Leute. Paul erkannte, daß viele Teilnehmer viel mehr über ihre Spezialgebiete wußten als er. Er konnte von ihnen lernen, und er hörte gern zu. Mit intellektuell bewußten Menschen umzugehen, gefiel ihm immer. Wenn dieser Kurs sich vielleicht auch praktisch gesehen als Verlust für das College herausstellen würde – eigentlich als eine Katastrophe, denn er wandte sich nur an sehr wenige Studenten –, war es doch für ihn persönlich eine gute Erfahrung.
Carolyn kam ein paarmal herein, um nach ihm zu sehen. Wenn sie ihn gefunden hatte, schwirrte sie wieder los über den Campus. Wie eine Studentin. Es gefiel ihr hier, was er vorausgesehen hatte. Sie kümmerte sich nicht um die tiefere Bedeutung des Colleges oder um die Tatsache, daß seine Anwesenheit in eben dem gleichen Raum zu einer früheren Stunde ihm einst einen Ausschluß eingetragen hatte. Für Carolyn war das gesamte College ein riesiger Spielplatz mit interessanten Leuten, die nur
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