Die Visionen von Tarot
gingen frei miteinander um, auch die unverheirateten. Paul bedauerte, daß es zu seiner Zeit noch nicht so gewesen war. Das College hatte also in der Zwischenzeit zugegeben, daß er von Anbeginn an recht gehabt hatte. Vielleicht war es auch seine Initiative gewesen, die sie ermutigt hatte, diesen Weg zu beschreiten. Zumindest teilweise mußten sie sich bewußt gewesen sein, daß sie gegen die intelligentesten und einflußreichsten Studenten ankämpften und nicht gegen die Versager oder Querköpfe. Wenn das College nur noch die Studenten aufnähme, die sich restriktiven oder illegalen Vorschriften beugten, wie hätte dann wohl seine Zukunft ausgesehen?
Aber würde Paul seine unschuldige Tochter auf ein solches College mit dieser sorglosen Haltung gegenüber dem erzieherischen Aspekt und den offenen Wohnheimen schicken? Das würde er in der Tat tun, wenn sie es wollte und er es sich finanziell erlauben konnte. Für diese Art von Freiheit hatte er gekämpft – die Freiheit zu lernen, das wirkliche Leben zu meistern –, und er glaubte immer noch daran. Das Normenkontrollkomitee hatte damals die Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren, und er war sehr froh darüber.
Er kehrte zu seinem Schlaf räum zurück – und da saß sie. „Daddy!“ rief sie unter Tränen. „Ich hatte gedacht, du seist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen!“
Weil sie ihn nicht gefunden hatte! Die hyperaktive Phantasie hatte ihr so sehr zugesetzt. „Ich war aber doch im Zentrum, wo du mich zuletzt gesehen hast.“
„Ich hatte versucht, dort anzurufen, aber man sagte mir, du seist schon fort.“
Das war ja was! Hatte überhaupt jemand nachgesehen? Aber zu seinen Zeiten war das gleiche schon einmal passiert. Paul selbst hatte einer Besucherfamilie unwissend sehr viel Unbehagen bereitet, weil ein Telefonanruf für ein Mädchen gekommen war und er nicht zu dem Wohnheim dieses Mädchens hatte hinübergehen können (um vielleicht wieder ausgeschlossen zu werden!). Es war auch unmöglich, sie von der Eingangshalle aus herunterzurufen. Das hatte er dem Anrufer erklärt. Zu spät erfuhr er, daß das Mädchen auf den Anruf gewartet hatte und sich im Zentrum aufhielt. Dort hatte er nicht nachgesehen, weil er keinen Grund zu der Annahme hatte, daß sie dort sei – man konnte nicht bei jedem Anruf den gesamten Campus durchkämmen, in der Hoffnung, zufällig jemanden dabei zu finden.
Das junge Mädchen, das sich Carolyns angenommen hatte, begleitete beide zu ihrem Zimmer. Es war Amaranth in entsprechender Verkleidung. Sie hatte auch Susan dargestellt. Mit dem entsprechenden Rollenmake-up wirkten hier in den Animationen alle Frauen gleich. Paul war froh, daß er die Betten gemacht, aufgeräumt und sogar Carolyns Tintenfischpuppe auf das Bett gesetzt hatte. Aber weiblichen Besuch kurz vor Mitternacht hatte er kaum erwartet gehabt. Dazu gesellte sich noch ein freundlicher Hund, ein Irischer Setter, der ihn an eine weitere lang vergessene Episode und die heutige immer noch existierende Heuchelei erinnerte. Carolyn war sogleich getröstet. Paul dankte der Studentin für die Aufmerksamkeit. Sie verabschiedete sich von Carolyn und ging.
Am nächsten Morgen traf Carolyn ein Mädchen ihres Alters, mit dem sie spielen konnte. Es war die Enkelin einer der Küchenangestellten. Die beiden machten sich auf den Weg in die Küche, um Essensreste für die verschiedenen Tiere zu ergattern, besonders für die gefräßigen Enten. Carolyn wagte auch eine Kanufahrt auf dem See, was sie sehr genoß. Mal wieder acht Jahre alt sein und keine Sorgen haben … aber Kindheit bedeutete auch noch andere Dinge, wie der
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