Die Visionen von Tarot
„Aufstehen“, murmelte er in ihr niedliches kleines Ohr. „Es gibt Kakao.“ Sie bewegte sich. „Und Enten.“
„Oh, Enten“, rief sie freudig. Aufstehen bedeutete für sie ein hartes Schicksal, aber es galt, viele neue Freunde zu gewinnen. Ehe sie den Campus verlassen haben würden, das wußte Paul, würde sie mit jedem Hund, jeder Katze, jeder Ente und jedem Kind auf dem Gelände auf vertrautem Fuße stehen. So waren kleine Mädchen nun einmal. Gott sei Dank!
Zusammen gingen sie zum Campus hinüber. Der Pfad verlief mittels hölzerner Stufen über einen steilen Hügel, überzogen von einem strahlenförmigen Gebäude, an dem man noch baute, weiter durch das hantelförmige Kunstgebäude hindurch, an der modernen neuen Bibliothek vorbei und durch einen schönen, dichten Fichtenwald. In Pauls Tagen hatte es nur den Wald gegeben.
Beim Gang durch die Bäume sangen sie ein Lied. Er zeigte ihr die riesigen alten Fichten, deren unzählige niedrige Zweige sich einladend nach allen Seiten erstreckten. Man konnte sie leicht hinaufklettern, aber Schmutz und Harz befleckten einem dabei so die Hände, daß man es kaum jemals wieder abwaschen konnte. „Also steig bitte nicht hinauf“, endete er warnend. „Ich möchte nicht, daß die Leute von mir denken, ich hätte eine schmutzige kleine Tochter.“
„Tu ich nicht, Daddy“, versprach sie und schielte abschätzend zu den Ästen hinüber. Einladend wie eine Leiter …
Weiter ging es durch ein Feld mit vielen Wiesenblumen, was Paul an die erste Stabreimzeile des epischen Gedichts The Vision of Piers Plowman erinnerte, wo es um ein feines Feld voller Früchte geht, das die Menschheit darstellt, die ihren eitlen Geschäften nachgeht, ungeachtet der Verheißung vom Turm der Wahrheit über ihnen oder dem Verlies der Falschheit unter ihnen. Carolyn wollte natürlich Blumen pflücken, am liebsten alle, aber er bat sie, sie am Leben zu lassen, anstatt sie durch das Pflücken zu töten.
Schließlich gelangten sie gerade noch rechtzeitig zum Frühstück auf den Hauptplatz des Campus. Oh, welche Freude. Carolyn fand ihr Lieblingsmüsli, Kuchen und natürlich Kakao vor. Paul entdeckte verschiedene Nußsorten. Sonnenblumenkerne und Joghurt. Er entschied sich für Magermilch und zwei Spiegeleier. Und alles war durch ihre Essensbons abgedeckt! Carolyn schätzte diese Art von Bezahlung; es wirkte wie Zauberei. Man brauchte die Bons einfach nur zu zeigen und konnte essen, was man wollte.
Als Paul hier Student gewesen war, hatte man sich um eine gesunde Ernährung noch keine Gedanken gemacht. Das Essen war gut gewesen, aber herkömmlich. Die Köchin wurde langsam alt und beharrte darauf alles so anzurichten, wie sie es gewohnt war. Weder Joghurt noch Körnerfrüchte. Dann ließ sie immer die Pfanne zu heiß werden, so daß die Spiegeleier unten verbrannt waren, während die Oberfläche glitschig blieb. Deswegen hatte Paul es sich damals angewöhnt, Eier nur von beiden Seiten gebacken zu essen, dabei jedoch lediglich herausgefunden, daß diese Köchin die Kunst zur Perfektion gebracht hatte, Eier von beiden Seiten zu verbrennen, während das Weiße in der Mitte so frisch blieb wie Rotze bei einem Heuschnupfen. Heute jedoch waren die Eier ausgezeichnet. Fast war er ein bißchen enttäuscht.
Neugierig betrachtete Paul die anderen Studenten im Eßsaal. Die Männer trugen fast alle einen Bart, die Frauen keinen Büstenhalter. Die meisten Personen beiderlei Geschlechts trugen Jeans. In Pauls Tagen hatte es weniger Barte und mehr Büstenhalter gegeben, ansonsten hatte sich das Erscheinungsbild der Studentenschaft aber kaum verändert.
Ehe das Essen vorüber war, hatte sich Carolyn
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