Die Visionen von Tarot
Sprung nicht gewagt. Doch seine Beine trafen auf festen Boden.
„Kurzer, steiler Abhang, dann eine Ebene“, verkündete sie. „Dann wieder ein Berg.“
Am Fuß des Grates legte er wieder den Arm um sie, denn sie keuchte immer noch. „Ich kann ein Stück laufen … aber bei Gott, bist du stark!“ rief sie. „Das ist nicht nur Körperkraft … hier, stütz mich ein bißchen.“ Sie rückte an seinem Arm und schob ihn höher hinauf unter ihre Achsel. Als er sie leicht anhob, kuschelte sie sich eng an ihn. Aber er mußte weitergehen.
Sie bestiegen den nächsten Hügel – und standen vor einer Vision. Auf dem Plateau vor ihnen glitzerten die Nova-Käfer zu Myriaden, und ihre kurzen Explosionen wirkten wie eine intermittierende Galaxis. Zur Linken lag eine Märchenstadt mit hohen Türmen, aufragenden Zinnen und von innen heraus leuchtenden Minaretten: Offensichtlich eine von jemand anderem herbeigezauberte Vision. Das bedeutete, die Animationswirkung kehrte zurück und wehte aus welcher Quelle auch immer wie ein Malariaanfall durch den Körper. Bald würde es sie umschlingen. Zur Rechten, wo die Sicherheit lag, stand ein Ungeheuer.
Das Wesen war etwa drei Meter groß, stämmig und behaart. Es hatte Klauen wie ein Bär und eine vorstehende Schnauze wie ein Eber. Die Füße waren menschenähnlich, aber ungewöhnlich groß.
„Wo ist das Kind?“ fragte Bruder Paul.
„Irgendwo anders“, entgegnete Amaranth, die sich nach ihm umwandte. Dabei schob sich ihre linke Brust unter seine Hand. Sie atmete immer noch schwer. „Das waren die Schreie von Großfuß, nicht ihre. Ich hatte Angst, es sei …“
Jetzt schließlich brach eine Reaktion, die die ganze Zeit über gewartet hatte, endlich aus ihm heraus. „Großfuß! Du meinst, es gibt wirklich einen Groß fuß und nicht nur Laute und Fußabdrücke? Ein berühr bares, sichtbares …?“ Er ließ den Arm sinken.
„Da“, sagte sie. „Er ist oft in der Nähe von Animationen.“
In der Zwischenzeit bewegte sich die Kulisse der Animation weiter nach vorn. Die Märchenstadt war wunderschön, aber grauenerregend mit der damit verbundenen Erwartung. Sie konnten sie nur betreten, indem sie einfach still stehenblieben – aber wie würden sie wieder herauskommen?
„Ich glaube, das Kind ist entweder in Sicherheit … oder jenseits aller Hilfe“, sagte Bruder Paul. „Ich hoffe, das erstere trifft zu. An Großfuß’ Klauen sehe ich kein Blut. Wir sollten uns lieber selbst in Sicherheit bringen, und ich hoffe, die anderen denken genauso. Kannst du hier auf dem flachen Boden wieder laufen?“
„Das sollte ich wohl besser.“
Sie liefen über das Plateau. Aber Großfuß hatte sie schon erspäht. Mit einem weiteren entsetzlichen Schrei rannte er los, um sie abzufangen. In wenigen Sekunden hatte er sich ihnen drohend in den Weg gestellt. In seiner Nähe konzentrierten sich die Nova-Käfer und beleuchteten ihn ununterbrochen.
„Ich versuche, ihn abzulenken“, sagte Bruder Paul. „Du versuchst, an ihm vorbeizukommen.“
„Aber er wird dich umbringen! Großfuß ist schrecklich!“
„Wenn du dich nicht in Bewegung setzt, wird dich die Animation erwischen“, bellte Bruder Paul zurück und ging auf das Ungeheuer zu.
Er war sich absolut nicht sicher, damit fertig zu werden, aber er mußte es versuchen. Das Biest würde sie nicht ungehindert vorbeilassen, und es gab keinen anderen Fluchtweg, ohne gleichzeitig von der Animation gefangen zu werden.
Amaranth blickte verärgert hinter sich. Dann steckte sie zwei Finger in den Mund und stieß einen durchdringenden Pfiff aus.
Sofort reagierte Großfuß. Er griff sie an. Bruder Paul warf sich zwischen sie und erwischte das Ungeheuer an der Schulter. Es war, als
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