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Die Voegel der Finsternis

Titel: Die Voegel der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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seinen Ursprungsort zurückgekehrt. Für immer!"

 
29
    Maeve rüttelte an der Tür, aber die blieb starr und unbeweglich wie eine vereiste Granitplatte. Es hat alles nichts genutzt — Lilas Liebe, meine Flucht, unsere Reise. Ich habe den Traumwenstein verloren. Ich bin allein.
    Kalt. So kalt. Diese Kälte wird mich töten. Sie sah den Becher, aus dem Dorjan das Ebe Elixier getrunken hatte. Wenn sie es auch trank, würde sie diese eiskalte Kammer verlassen können. Aber sie dachte daran, was sie durch Lord Morlens Ebrowenaugen gesehen hatte. Sie wollte das Ebe Elixier nicht trinken, sie wollte nicht dazu beitragen, die körperliche Welt ins Verderben zu stürzen: diese liebliche, wunderbare Welt, wo sie eine kurze, hinreißende Zeit verlebt hatte - wo sie hatte atmen, sich frei bewegen, singen und lieben können. Singen.
    Maeve versuchte angestrengt, sich der Melodie des Traumwensteins zu erinnern. Schwach und doch machtvoll klang seine Melodie in ihrem Inneren wieder.
    Sie reckte ihr Kinn. Sollte der Tod doch kommen, schnell oder quälend langsam, aber im Warten auf den Tod wollte sie vom Leben singen. Ihre letzten Augenblicke sollten nicht von Verzweiflung beherrscht sein. Sie erhob ihre Stimme und das Lied strömte von ihren Lippen. Sie sang, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt - als verwandelte das tropfende Licht sich nicht in eine graue Flüssigkeit, als sei sie mit Jasper und Devin auf der Erde und flechte Blumenkränze, als besäße sie noch den Traumwenstein, als würde kein eisiger Atem von ihren Lippen zu den Gefäßen mit dem Ebe Elixier ziehen.
    Hester konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Als sie mit Jem das verzauberte Nebengebäude der Burg betrat, konnte sie plötzlich alles sehen, das ganze, wohlgestaltete Bauwerk. Und sie erkannte, dass sie schon viele Male hier gewesen war. „Das Grenzhaus!", schrie Jem. „So ist es."
    Durch die bunten Glasfenster strömte Licht, so gleißend, als wohnte die Sonne selbst in dem Haus. Am ganzen Leibe zitternd, öffnete Hester die Tür. Die Türschwelle, wo sie erst wenige Augenblicke zuvor Blutschlieren gesehen hatte, war sauber. Die glitzernden Juwelen, die im Boden eingelassen waren, blendeten ihre Augen. Staunend betrachtete sie die Stelle, wo die drei Menschen gelegen hatten.
    „Sie sind fort", sagte Jem. „Sie sind fort."
    Maeve öffnete ihre Augen und blickte zur sengenden Sonne empor. Zu ihrer Linken rührten sich Sara und Dorjan. Auch sie fanden wieder aus dem Schlaf. Maeve setzte sich hin und sah um sich nichts als rot- gelben Sand und Steine. „Wir sind wieder in der Wüste!"
    Die Wirklichkeit ließ sie erschauern. Sie war nicht im Reich des Schattenkönigs gefangen, sie war nicht allein auf einem kalten, grauen Steinboden, wo der Tod sie erwartete. Sie rollte sich von der Decke und schwelgte im sandigen Untergrund.
    Sara und Dorjan waren nun ganz wach geworden. Sie rollten sich ebenfalls in den Sand und lachten albern. „Was für ein Traum!", sagte Sara, als sie sich wieder beruhigt hatten.
    „Mehr als ein Traum", antwortete Dorjan leise. Er zeigte auf die Decke, auf der ein gekrümmtes Messer lag. Seine aschfarbene Klinge glitzerte scharf und bedrohlich. Sara nahm es, sein glattes, schlichtes Heft schmiegte sich perfekt in ihre Hand und die Klinge spiegelte die Farbe ihrer staunenden Augen wider.
    Graue Augen!
    Maeve starrte Sara an. Ihre Augen hatten fast dieselbe Farbe wie die von Morlen, das Grau war nur eine Spur weicher, wie zerriebene Asche. Ist sie jetzt auch ein Ebrowen? Maeve drehte sich zu Dorjan um und konnte kaum glauben, was sie sah. Die Augen, die ihren Blick erwiderten, waren ebenfalls grau. „Es ist alles in Ordnung", sagte Dorjan. Doch Maeve wich zurück, sie glaubte ihm nicht. Sie haben das Ebe Elixier getrunken. Sie musste sie berühren, um zu wissen, wer die beiden waren. Aber was, wenn sie nun wie Morlen wären?
    Sie stand auf und legte Sara eine Hand auf die Schulter. Die Berührung erinnerte sie an die Samenkapseln, die sie auf ihrer Reise nach Mantedi angefasst hatte. Maeve war ergriffen gewesen von dem Leben, das in ihnen steckte und darauf wartete herauszuplatzen. Auch Sara strahlte diese enorme Lebenskraft aus. Aber da war noch etwas anderes. Die Samen der meisten Pflanzen fühlten sich unschuldig und harmlos an - in Sara aber schlummerte auch eine Gefahr. Als wäre sie ein Gift und ebenso eine Medizin. Maeve streckte ihre Hand nach Dorjan aus. Als sie ihn berührte, fühlte sie nichts als Liebe.

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