Die Voegel der Finsternis
nicht um den Verstand weinen. Sie musste an etwas anderes denken. Was war aus Jasper und Devin geworden? Hatten sie fliehen können? Vielleicht. Jasper wusste bestimmt, was er tun musste, um sich und Devin zu retten. Er hatte doch Recht gehabt mit dem Gold.
Die Wochen ihrer Freiheit zogen an ihr vorüber und mit ihnen die Erinnerung an Jasper: wie seine starken Hände die Nähnadel hin und her führten; wie er ihr beibrachte, Steinchen über das Wasser hüpfen zu lassen, zu kochen, Feuer zu machen, auf Fortuna zu reiten; wie er durch lange, dunkle Nächte geduldig über Wildpfade stapfte, Blumenkränze flocht und mit ihr über das Gold stritt. Sie dachte auch an die Güte, die
Liebe in seinen Augen. Maeve hoffte aus ganzem Herzen, dass er fortgeritten war, ohne an die Vergangenheit zu denken. Er und Devin würden gut zusammenleben und sicher sein.
Vor der Tür wurden Schritte laut. Ich werde Morlen nichts von Jasper und Devin erzählen. Auch wenn Morlen sie zeichnete, bis Jasper sie nicht mehr wiedererkennen würde, kein Wort würde über ihre Lippen kommen. Die Tür ging auf. Der kahlköpfige Mann, der Orlo niedergeschlagen hatte, kam herein, hinter ihm ein Sklave mit einer Laterne. Der Sklave setzte die Laterne ab und ging zur Seite. Lord Morlen trat ein, in seinen grauen Augen spiegelte sich das Licht der Laterne, seine breiten Schultern füllten fast den Türrahmen aus. Er ging geradewegs auf Orlo zu, beugte sich über ihn und fragte: „Was ist das, Warren ?" Seine Stimme war kalt, so kalt wie das letzte Mal, als Maeve sie im Arbeitszimmer von Lord Indol gehört hatte. „Dieser Mann ist tot." „Nicht tot, Herr. Ich habe ihn nur verletzt, nicht getötet."
„Er ist tot."
Maeve kauerte in der Ecke und blickte aus den Augenwinkeln auf die geschlossene Tür. Der kahle Warren kauerte sich neben den Körper. „Ich habe diesen Schlag schon hundertmal angewendet, Lord Morlen. Noch nie ist jemand dabei gestorben." Morlen richtete sich auf. „Sein Tod wird dir vom Lohn abgezogen."
Als sich Morlens Schritte Maeves Ecke näherten, wünschte sie, sie könnte Orlo aus dieser Welt hinausfolgen.
Er ließ sich auf einem Knie vor ihr nieder. „Meine entzückende Ausreißerin. Wäre es nicht einfacher gewesen, gleich mit mir zu kommen?" Sie antwortete nicht „Du sprichst nicht?" Er strich mit einem Finger an ihrer Wange entlang. „Das wird bald anders sein, Maeve. Ich besitze Mittel, deinen Geist zu öffnen und ihm alle Geheimnisse zu entlocken." Sie konzentrierte sich auf ihre Hände in ihrem Schoß. „Du hast einen ungewöhnlichen Geist", fuhr er fort, „an der Oberfläche sanft, doch darunter - welch ein Trotz. Aber du entkommst mir nicht. Das Schicksal hat uns aneinander gebunden."
„Was . . . was wollt Ihr von mir?" Sie sah ihn nicht an, aber die Frage, die sie die ganze Zeit gequält hatte, brach aus ihr heraus.
„Ich sehe Dinge in dir, die niemand sonst sehen kann. Dinge, die nicht einmal du erahnst." „Das ist keine Antwort."
Seine Hände umfassten ihren Kopf und er zog ihr Gesicht nach oben. Sie schloss die Augen. „Du bist ein schlaues Mädchen, nicht wahr, Maeve? Viel schlauer, als je jemand gedacht hat - wie du die Oberin in meinem Namen hinters Licht geführt hast, wie du das Gold genommen hast." Das schreckliche Grau seiner Hände sickerte kalt und schattenhaft in ihren Kopf und stahl
sich in ihre Seele. Sie versuchte, ihre Anspannung zu unterdrücken und so zu tun, als würde sie ihn nicht hören. „Aber den Jungen mitzunehmen, das war eine Dummheit." Eine unbekannte Gewalt zog an ihren Augen. Sie kniff sie noch fester zu. Morlen lachte leise. „Gut, Maeve. Ich sehe, du widerstehst mir. Das macht es nur noch interessanter für mich. Aber du wirst nicht lange durchhalten."
Er verstärkte seinen Griff um ihren Kopf, und Maeve fühlte, dass er Recht hatte. Kälte, schlimmer als Feuer, versengte ihr Inneres. Sie nahm all ihren Willen zusammen, aber es war, als wollte sie ein Gespenst zu fassen kriegen. Die Kälte verbreitete sich in ihrem ganzen Körper. Sie trat mit den Füßen um sich, doch nichts geschah. Sie versuchte, die Hände zu bewegen, sie lagen leblos in ihrem Schoß.
„Wenn du deine Augen öffnest", hörte sie ihn sagen, „werde ich dich loslassen."
Sie dachte an ihre Mutter und wie sie gelitten haben musste, als sie wieder und wieder geschnitten worden war. Wenigstem ist Blut etwas Warmes. Maeve wollte ihre Augen nicht aufmachen, trotzdem öffneten sie sich. Und da war er,
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