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Die Vogelfrau - Roman

Die Vogelfrau - Roman

Titel: Die Vogelfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Blatter
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anschreit, dann sage ich ihr, dass ihre Tochter nicht mehr zurückkommt. Ja, das werde ich tun.
    Die kommt nämlich nie mehr.

16. Kapitel
    Jeden Tag wurde es nun ein wenig früher dunkler.
    Bloch ging mit raschen Schritten über das feuchte Pflaster der Marktstätte. Churchill folgte ihm schnaufend. Der Kaiserbrunnen war mittlerweile wegen Frostgefahr abgestellt. Keine Kinder, die auf und mit den bizarren Figuren spielten. Keine Pantomimen, Gaukler und Straßenmusikanten, die das geneigte Publikum unterhielten. Nichts vom üblichen Trubel. Die Straßencafés lagen verwaist. In den Auslagen der Blumengeschäfte stapelten sich dürre, tarnfarbene Gestecke für Allerheiligen. Zumindest am ersten November würden die Menschen ihrer Toten gedenken. Kommissar Bloch hatte kein Grab in Konstanz zu pflegen. Seine Eltern lagen im Westfälischen. Bloch war schon seit Jahren nicht mehr an ihrem Grab gewesen.
    Er ging durch die Fußgängerzone, als ob er ein Ziel hätte. Pittoreske Läden mit Kunsthandwerk und teuren Designerartikeln reihten sich aneinander. Die Geschäfte, in denen es neonbunten Ramsch für maximal fünf Euro zu kaufen gab, hatten in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Vor einem drehbaren Ständer probierten Jugendliche verschiedene Halloweenmasken aus Weichplastik an: orange Kürbisköpfe, Totenschädel und Fratzen wie zerschmolzenes Wachs. Es waren ausgesprochen billige Imitationen jener Geister, die Bloch regelmäßig im beruflichen Umfeld zu begegnen pflegten. Geister, die die normalen Bürger sorgfältig aus ihrem Leben auszusperren hofften. Die jungen Leute bogen sich vor Lachen.
    Der Kommissar ging weiter.
    Teure Klamottenläden. Sorgfältig dekorierte Stoffe an unnatürlich dünnen Schaufensterpuppen. Spinnenfingrige Gestalten. Wie in die Länge gezogene Außerirdische. Keine Gesichter.
    Bloch besaß genau fünf Hosen. Zwei für den Sommer und zwei für den Winter, eine zur Reserve. Er hatte drei identische Pullover und einige in neutralen Farben gehaltene Hemden. Er hasste es, morgens vor dem Schrank zu stehen und sich überlegen zu müssen, welche Kleidungsstücke zusammenpassten.
    Er fröstelte. Die Sitzung am Mittag war denkbar schlecht verlaufen. Dezernatsleiter Graf hatte ihm ungewohnt deutlich seine Meinung gesagt. Es fehle eine klare Linie, der rote Faden. Wahrscheinlich war dem Dezernatsleiter irgendeine Laus über die Leber gelaufen. – Was erwartete der denn am zweiten Tag der Ermittlungen? Bloch stochere nur im Ungefähren herum. Und überhaupt mangele es der ganzen Ermittlungsarbeit an Biss und an einer stringenten Hypothese. Graf liebte Fremdwörter.
    Cenk sprach wenig. Wie immer war er sehr gut gekleidet. Er verdiente zwar deutlich weniger als Bloch, schien aber den größten Teil seines Einkommens für Kleidung auszugeben. Er hatte sich vor der Sitzung sogar ein frisches Hemd angezogen.
    Bereits damals, als Bloch noch der kleine Erich war, hatte er sich schon immer schlecht angezogen gefühlt – trotz der ständigen Bemühungen seiner Mutter, die ihm mehrmals täglich den Scheitel mit einem in Wasser getauchten Kamm nachgezogen hatte. Die Jungen heutzutage verwendeten wahrscheinlich Haargel. Eine korrekte Frisur half jedoch gar nichts, wenn einem ständig das Hemd aus der Hose rutschte.
    Nein, Bloch hatte keine Hypothese.
    Hoffmann hatte ständig Hypothesen gehabt, die sich dann auch prompt bestätigten.
    Aber Hoffmann war tot und hatte sinnigerweise keine Gebrauchsanweisung zur Aufklärung des eigenen Todesfalles hinterlassen.
    Bloch erreichte den Münsterplatz. Churchill konnte mit seinen Schritten nicht mehr mithalten und warf sich mit einem jaulenden Seufzen flach auf das Kopfsteinpflaster. Laut hechelnd blickte er nach oben. Seine rosafarbene Zungenspitze rollte sich ein. Es sah aus, als wolle er sich die schokoladenfarbene Maske vom Gesicht schlecken.
    »Also, mein Freund«, meinte Bloch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es sieht ganz danach aus, als müssten wir beide etwas gegen unsere miese Kondition tun.« Der Hund widersprach nicht.
    Wer hätte auch ahnen können, dass die 14 C-Bestimmung eine solche Überraschung würde? Zehn Minuten vor Sitzungsbeginn hatte ihm eine der Sekretärinnen das Fax mit den Laborbefunden in die Hand gedrückt. Mit diesem Fax war ein Teil der vom Dezernatsleiter so dringend angemahnten Hypothesen schlagartig zunichte gemacht worden. Durch die Bestimmung der Zerfallsraten von 14 C kann eine Altersbestimmung von Gegenständen

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