Die Vogelkoenigin
Sonnenlicht blendete seine Katzenaugen, und er beschattete sie mit einer Hand. Er glaubte, eine Bewegung wahrzunehmen; ein winziger Spalt, so schien es ihm, gut geschützt, hinter dem es ein Wechselspiel von Licht und Schatten gab. Wahrscheinlich hatte der Prinz dort Beobachtungsposten bezogen.
Er gab Delios ein Zeichen und deutete nach oben. Delios schüttelte den Kopf. Leonidas fletschte die Zähne. Er hätte es gern versucht, mit einem schmalen Pfeil und einem guten Schützen. Delios hatte recht. Die Anordnung des Spaltes bot kein direktes Ziel, der Schütze müsste schon einen Bogen schießen, um treffen zu können.
Allmählich hatte er es satt. Das hier war Arbeit für einen Anfänger, dem man sonst nichts anvertrauen konnte. Weil man gar nicht anders konnte, als sich daran die Zähne auszubeißen. Für ihn war es vergeudete Zeit.
»Prinz Laycham, komm auf meine Seite!«, rief er hinauf. »Es wäre sinnlose Verschwendung so viel Talents, wenn wir euch niedermetzeln müssen.«
»Das müsst ihr überhaupt nicht«, antwortete die weiche Stimme des Prinzen. Er schien sanften Gemüts zu sein und wirkte dennoch zu allem entschlossen. »Verschwindet einfach und lasst uns in Ruhe, und niemand muss dran glauben. Vor allem keiner deiner Leute.«
»Noch vor dem Morgengrauen sind wir drin«, drohte Leonidas.
Laycham lachte. »Vorher werdet ihr euch gegen Fokke aufreiben. Vor allem frage ich mich, wie du verhindern willst, dass er demnächst seine Luken öffnet und mit schweren Geschützen alles hier in Schutt und Asche legt.«
»Und darauf willst du warten?«
»Nicht gern, offen gestanden. Aber was soll ich machen?«
»Du könntest die Menschen ausliefern.«
»Unter gar keinen Umständen. Vorher schneide ich ihnen selbst die Kehle durch, damit sie nicht in eure Fänge geraten.«
»Warum, Prinz Laycham?«
»Weil ich es kann, General Leonidas. Schlicht und ergreifend, weil ich es kann.«
Er war der uneingeschränkte König dieses kleinen Reiches und entschied, wer leben durfte und wer sterben musste. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben traf er eigene Entscheidungen, deren Verantwortung er übernahm und deren Konsequenzen er bereit war zu tragen. Trotz des nahenden Todes musste das ein erhebendes Gefühl für ihn sein.
»Koste deine Macht aus, genieße sie mit allen Sinnen, solange du kannst, Prinz Ohneland«, riet ihm Leonidas. »Und du wirst erkennen, dass die Menschen es dir nicht danken werden.«
»Da kennst du die Menschen aber schlecht.«
»Woher willst ausgerechnet du sie denn so genau kennen?«
»Ich habe mich mit ihnen unterhalten. Und sie wollen sich unbedingt ergeben, um mich zu schützen. Das ist genau das, was mich antreibt, sie zu beschützen. Es ist meine Pflicht, und meine Ehre verlangt es auch.«
Leonidas sah ein, dass Laycham niemals schwanken würde, und er respektierte ihn dafür. Nein, er achtete ihn. Immer mehr bedauerte er, dass so ein guter, entschlossener, edler junger Mann, der einer Krone würdig wäre, bald sterben musste. Welche Verschwendung!
Er unternahm einen letzten Versuch. »Kommt alle heraus, und ich garantiere euch, dass keinem von euch ein Leid geschieht. Alberich wird euch mit Freuden empfangen und als Freunde, wenn ich ihm berichte, was du und deine Männer geleistet habt.«
»Und dann sollen wir uns in seinen Dienst stellen?«
»Laycham, das bist du sowieso. Alberich ist der Herrscher Innistìrs, du hast gar keine Wahl. Außer der zwischen einem geknechteten, rechtlosen Untertan oder einem treuen Adligen mit allen Privilegien.«
»Weißt du was? Ich habe einen besseren Vorschlag. Komm mit mir nach Dar Anuin und hilf mir, mein Reich zurückzuerobern. Für dich und deine Männer, deine gesamte Schar, gäbe es dort ausreichend Platz, um ein freies Leben aufzubauen und die Waffen nur dann zu erheben, wenn jemand in feindlicher Absicht naht. Aber das wird keiner, da bin ich sicher. Dar Anuin soll seinem Ruf wieder gerecht werden! Du ahnst nicht, wie schön es dort ist.«
»Ich bin ...«
»Was soll Alberich denn machen?«, unterbrach Laycham. »Er kann dich und die Deinen nicht aufhalten, ihr seid seine besten Kämpfer, und wie viele hundert zählt ihr doch gleich? Wie sollte er?«
»Du machst dir keine Vorstellung«, knurrte Leonidas. »Also dann, sterbt eben.«
Wütend wandte er sich ab. Delios kam an seine Seite. »Was machen wir denn jetzt?«, fragte er leise. »Ich hör die da drin mit Wasser plätschern, das macht mich halb verrückt.«
Leonidas warf
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