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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Gedächtnis?«
    Lefeber hielt einen Moment inne, dann lächelte er. »Ich hatte ein Modell.«
    Sag, dass das nicht wahr ist, betete Nora im Stillen.
    Als Reaktion auf ihren erschrockenen Blick öffnete Lefeber seinen Schrank und holte eine Pappschachtel hervor. Er griff hinein und legte ein paar rot und braun verfärbte Blätter auf seinen Nachttisch. Auf diese bettete er etwas, das Nora zum letzten Mal vor fast zwanzig Jahren selbst besessen hatte: Ken, Barbies Freund. Etwas weniger lässig als der Junge auf dem Bild hatte er die Hand hinter den Kopf geschoben und eine ganz ähnliche Pose eingenommen. Mit schwarzen Linien hatte Lefeber Muskeln auf den glatten Puppenkörper konturiert. So glich Ken eher einem anatomischen Anschauungsobjekt als einem Kinderspielzeug.
    Lefeber sah sie herausfordernd an. Reicht das zu meiner Verteidigung?
    »Hatten Sie den schon im Gefängnis?«
    »Nein, das hat man mir nicht erlaubt. Ich habe ihn in der Zeit, während wir im Altersheim untergebracht waren, in Frankfurt gekauft.«
    Nora atmete auf. Sie wollte so schnell wie möglich das Thema wechseln. »Warum waren Sie nicht bei Martinez? Jemand sollte ständig bei ihm sein.«
    »Ich habe Holz geholt, weil im Haus keins mehr war. Dann wollte ich Suppe kochen. Herr Martinez ist hungrig.«
    Ihr Puls beschleunigte sich. »Heißt das, er ist wach?«
    »Vor zehn Minuten war er es.«
    »Mein Gott, und das sagen Sie mir erst jetzt?«
    Nora stürmte hinaus und in Rosens Zimmer. Martinez wandte ihr den Kopf zu und lächelte erschöpft.
    *
    Kiefer hatte mal wieder dafür gesorgt, dass es ausreichend Getränke gab: Freibier für die Männer, Sekt für die Frauen, Obstbrand für alle. Er beabsichtigte, im Gemeindehaus eine alkoholschwangere Atmosphäre zu fördern – aggressiv genug, um den Stein endlich ins Rollen zu bringen.
    Draußen brach die Sonne durch die Wolken. Es war kalt, aber beinahe windstill.
    Hinter Kiefers Rücken warf der Projektor Bilder von Timm an die Wand: Timm im Kinderwagen, Timm mit Schultüte, Timm hinter der Theke der Bäckerei, ausgelassen lachend. An ihre eigenen Kinder musste Kiefer die Anwesenden nicht erinnern: Das besorgten die selbst gemalten Bilder, die mit Namen wie Leonie, 5 und Anna-Lisa, 6 unterzeichnet waren und Farbe an die Wände zauberten. Ihr Anblick verursachte bei den Scheelbachern eine Gänsehaut: Schlimm genug, dass Timm unauffindbar war, aber wer würde das nächste Kind sein, das spurlos verschwand? Anna-Lisa? Leonie? Denn dass die Männer in der Mühle etwas mit Timms Verschwinden zu tun hatten, daran gab es für die Versammelten spätestens ab dann keinen Zweifel mehr, als Kiefer beiläufig bemerkte, dass sich der verurteilte Sexualstraftäter mit Timm angefreundet hatte.
    Kiefer war zufrieden. Angst war ein starkes Motivationsinstrument, und das würde er brauchen, um die Leute zum Marsch auf die Schreckenmühle zu bewegen. Denn ihm reichte es endgültig. Wenn die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um diese Parasiten zu vertreiben und das Haus wieder in seinen Besitz zu bringen, musste Scheelbach eben kurzen Prozess machen.
    Während er sprach, lief die ›Timm-Show‹ im Hintergrund weiter. Mette saß mit verheulten Augen ganz vorne und schnäuzte sich lautstark. Kiefer klärte seine Schäfchen über den Stand der Dinge auf: Timm war seit über vierundzwanzig Stunden abgängig, einen besonderen Anlass dafür habe es nicht gegeben. Die Polizei werde nicht einschreiten, weil Timm, obwohl geistig behindert, volljährig sei und keine Betreuung brauche.
    Kopfschütteln und aufgebrachte Zurufe im Saal. Man schimpfte über die Polizei, die ja immerhin von Steuergeldern bezahlt wurde.
    Es gebe gute Gründe anzunehmen, Timm werde in der Schreckenmühle gefangen gehalten. Welche Gründe das genau waren, darüber ließ er seine Zuhörer im Unklaren. Aber das erübrigte sich. Denn die Ersten ließen sich bereits zu Hasstiraden hinreißen.
    Nun müsse man die Sache selbst in die Hand nehmen, wenn man den Jungen lebend wiedersehen wolle.
    Klatschen und finstere Blicke unter den anwesenden Herren, erste Tränen bei den Damen.
    In einer dramatischen Szene erklärte Mette vor der Dorfgemeinschaft, sie spüre, dass ihr Sohn noch am Leben sei. Sie flehte ihre Nachbarn um Hilfe an. Timm sei alles, was sie habe, wenn ihm etwas zugestoßen sei …
    Spontan sprangen einige Frauen auf und nahmen Mette in den Arm.
    »Alle, die mithelfen wollen, Timm zu suchen, finden sich in einer halben Stunde hier ein«, sagte

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