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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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fünf …
    Rosen hört auf zu zählen. Es sind zu viele Stimmen, die aus dem Erdgeschoss heraufdringen, es müssen Dutzende sein, die nun durch das Haus laufen. Anfangs hat er sich noch eingeredet, es sei ein Versteckspiel, wie Kinder es lieben, aber jetzt steht er gebückt in völliger Dunkelheit und zittert vor Angst am ganzen Körper.
    Nachdem Lefeber und Tibursky das Haus verlassen haben, hat er kurz erwogen, die Frau Doktor und den Polizisten aus der Kammer herauszulassen. Doch Lefeber hat den Schlüssel mitgenommen und um die Tür aufzubrechen, hat Rosen die Zeit gefehlt – er musste sich schnellstens ein Versteck suchen. Er hat es mit dem Schrank in seinem Zimmer probiert, wo der verletzte Polizist liegt.
    »Was ist da draußen los?«, hat Martinez ihn besorgt und bleich gefragt.
    »Sie kommen«, hat Rosen geantwortet.
    »Wer? Wer kommt?«
    Rosen hat wortlos die Schranktür geöffnet und die Innenmaße begutachtet. Nein, nicht mal dann, wenn er die Luft anhielt, würde er hineinpassen. Er hat die Tür zugeknallt und ist in Lefebers Zimmer gegangen, dessen Schrank viel geräumiger ist. Die Staffeleien mit den Bildern, die Adam gemalt hat, sind das Letzte, was er sieht, bevor er die Tür schließt und die Dunkelheit ihn umfängt. Abwechselnd verspürt er Wut, weil er sich so in Adam getäuscht hat, und eiskalte Angst.
    »Wer kommt, Rosen?«, hört er Martinez noch einmal aus dem anderen Zimmer rufen. Aber das wird Martinez gleich selber sehen, sie sind schon auf der Treppe.
    »Im Keller nix, im Erdgeschoss auch nix«, hört er jemanden sagen, jemanden, der sehr undeutlich spricht.
    »Alles durchsuchen, jeden Winkel. Timm muss hier irgendwo sein«, lautet die Antwort.
    Stiefel stampfen über die Holzstufen, dann sind sie im Gang. Rosen muss aufs Klo. Aber jetzt kann er hier nicht raus. Er muss warten, bis sie wieder weg sind.
    Die Stimmen sind im Nebenzimmer angelangt.
    »Hier liegt einer im Bett!«
    »Dich nehmen wir gleich mit, Bürschchen.«
    »Ich bin Polizist! Meine Rippen sind gebrochen.«
    Sie halten Martinez für einen von ihnen.
    Ein Schmerzensschrei, sie versuchen wohl, ihn aus dem Bett zu zerren. In seiner Haut möchte Rosen jetzt nicht stecken.
    »In der Jacke ist mein Ausweis«, wimmert Martinez.
    Eine kleine Pause. Dann entschuldigt sich jemand kleinlaut. Martinez stöhnt, Rosens Bett quietscht, er kennt das Geräusch nur zu gut. Sie legen ihn zurück.
    »Wo sind die Kerle?«, fragt eine weitere Stimme.
    Rosen betet leise. Bitte, verrat mich nicht, denkt er. Falls du es vergessen haben solltest: Ich habe dich aus dem Auto befreit.
    »Hier oben ist niemand«, sagt Martinez, »die sind schon längst über alle Berge.«
    Eine lange Pause. Sie werden abhauen und ihn in Ruhe lassen. Er wird heute noch vor Martinez auf die Knie fallen und ihm danken.
    »Weitersuchen. Es gibt noch zwei Zimmer hier oben.«
    Alle Hoffnung schwindet.
    Rosen zählt langsam. Eins, zwei, drei … bei fünfzig reißen sie die Tür auf. Licht durchflutet den Schrank. Rosen reißt die Arme hoch, um sein Gesicht zu bedecken. Sterne tanzen vor seinen Augen.
    »Da ist die Drecksau!«, schreit eine Stimme.
    Rosen lässt die Arme sinken.
    Vor ihm steht jemand mit einem Beil in der Hand.
    *
    Mit einem Knirschen brach der hölzerne Riegel aus der Halterung und die Eingangstür zum Tunnel flog auf. Die Männer in Springerstiefeln, Militärhosen und schwarzen T-Shirts drängten in den Kühlkeller wie Maden in eine schwärende Wunde.
    Kurz darauf war Tibursky von ihnen umzingelt. Es war vorbei – von hier gab es kein Entrinnen mehr.
    Der Anführer, ein Kerl mit quadratischem Schädel und einer Statur wie ein Kampfhund, riss ihm das Goldkreuz aus der Hand. »Wo hast du das gestohlen, Arschloch?«
    Tibursky brachte kein Wort heraus.
    Der Kerl schlug ihm ohne Vorwarnung mit der flachen Hand ins Gesicht. »Ich hab dich was gefragt, Kinderficker.«
    Seine Wange brannte wie Feuer. Betäubt vor Schreck warf Tibursky einen Blick zu den blauen Kunststoffsäcken, die an der Wand lehnten. In seinen Ohren hallte Dancing Queen von Abba wider. Beim Gedanken daran, was sich in den Säcken befand, wurde ihm schlecht.
    »Was?«, wollte die Bulldogge wissen. »Was ist da drin?«
    Tibursky sah zu Boden. Tränen liefen über seine Wangen und fielen auf die gestampfte Erde. Im Bruchteil einer Sekunde saugte sie die Feuchtigkeit auf.
    »Henk, sieh nach, was in den Säcken ist«, befahl der Anführer.
    Tibursky wischte sich über das Gesicht und hob den Blick.

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