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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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sein müssen, war nur noch ein blutiger Stumpf, aus dem Knochensplitter und Muskelfasern herausragten. Der Schädel, oder was noch davon übrig war, befand sich einen halben Meter weiter. Man sah nur den Hinterkopf, an dem dunkelblonde, blutgetränkte Haare klebten.
    Die Axt lag direkt daneben.
    Nora kämpfte gegen den aufsteigenden Schwächeanfall an, keinesfalls durfte sie jetzt die Kontrolle verlieren! Sie ging langsam rückwärts, bis sie wieder neben Bruno stand.
    »Wer ist das?«
    »Kiefer, der Bürgermeister.«
    »Hast du etwa zugesehen, wie er ihn umgebracht hat?«
    »Es tut mir leid, Nora«, erwiderte Bruno bedauernd. »Ich konnte ihn nicht daran hindern. Ich war wie gelähmt.«
    Sie musterte Bruno, seine klaren Züge, seinen offenen Blick. Es tat furchtbar weh, ihre Gefühle für ihn nicht im Griff zu haben. Jetzt, wo sie wusste, dass er sie hintergangen hatte.
    »Ich habe einiges über dich herausgefunden, Bruno.«
    »Ja?«
    »Du hast damals den Namen deiner Frau angenommen, um an Rosen heranzukommen, ohne Verdacht zu erregen.«
    »Es ist gut, dass du jetzt Bescheid weißt. Das Versteckspiel hat mich fertiggemacht, vor allem, seit er sich in Freiheit befindet.«
    »Hast du den Häftling angestiftet, der Rosen in der JVA angegriffen hat und dabei selbst zu Tode kam?«
    »Nein. Es gab zu der Zeit viele Leute, die wissen wollten, wo die Millionen aus der Entführung versteckt waren. Rosen war immerhin der einzige Überlebende.«
    »Du hast Lefeber monatlich tausend Euro überwiesen. Nur so konnte er sich im Gefängnis seinen extravaganten Lebensstil leisten.«
    »Er ist clever und brauchte das Geld. Adam sollte Heinz’ Vertrauen gewinnen und herausfinden, wo sie Katharinas Leichnam begraben hatten.«
    »Das also hat dich die ganzen Jahre über umgetrieben.«
    »Ich habe es meiner Mutter auf dem Sterbebett versprochen. Wir konnten Katharina nie beerdigen. Das ist für die Hinterbliebenen wie eine offene Wunde, die keine Chance auf Heilung hat. Das hat die Ehe meiner Eltern zerstört und meine Mutter in eine schwere Depression gestürzt.«
    »Darum hast du das Haus angeboten und jeden Raum verkabelt – um Rosen auf Schritt und Tritt zu überwachen.«
    »Nachdem alles andere keinen Erfolg hatte.«
    »Und bist du mit mir auch nur deshalb ins Bett gegangen? Um an ihn heranzukommen? War ich so etwas wie dein Horchposten?«
    »Nein, mit dir hatte das nichts zu tun.«
    Nora wusste nicht, ob sie ihm glauben sollte. Sie atmete tief durch.
    »Und? Hat Rosen dir verraten, was du wissen wolltest?«
    Brunos schüttelte er den Kopf. »Es war alles umsonst.« Er wich ihrem Blick aus.
    Eine Explosion ließ die Baumstämme um sie herum erzittern. Nora, Bruno und Rosen rissen erschrocken die Köpfe herum; eine Rauchwolke stieg auf, der Schein eines Feuers erhellte die mächtigen Eichen. Die Schreckenmühle brannte lichterloh.
    *
    Sie hatten die Eingangstür zum Tunnel vom Gang her blockiert, damit der Polizist ihnen nicht folgen konnte.
    Henk führte Tibursky, dem er das orangefarbene Seil um den Hals gelegt hatte, wie ein Stück Vieh zur Schlachtbank. Kowalski und er bildeten, umgeben von ihren Kumpanen, eine schweigende Prozession. Sie wussten: Wenn sie unbemerkt von Polizei und Rettungsdiensten die Strafe vollstrecken wollten, mussten sie auf der Hut sein.
    Tibursky konnte nicht um sein Leben betteln, denn sie hatten ihm den Mund mit Klebestreifen verschlossen. Und den verzweifelten Ausdruck in seinen Augen sah niemand, der bereit oder imstande gewesen wäre, ihm zu helfen. Als Kowalski mit seinen Springerstiefeln die morschen Holzlatten wegtrat, mit denen der Eingang zum Aussichtsturm vernagelt war, und Tibursky langsam dämmerte, was sie mit ihm vorhatten, nässte er sich ein.
    Die Stufen knarzten, während die Gruppe ein Stockwerk nach dem anderen hinaufstieg. Insgesamt vier mussten sie bis zur Plattform zurücklegen. Auf jeder Etage hoffte Tibursky, eine der morschen Stiegen würde einbrechen und seine Peiniger zu Fall bringen. Aber das Holz, das bereits zweihundert Jahre überstanden hatte, hielt auch jetzt noch.
    Kowalski kritzelte mit einem roten Eddingstift etwas auf ein Stück Pappe. Er befestigte es an einem Stück Schnur und hängte es um Tiburskys Hals.
    Wolf konnte nicht erkennen, was darauf geschrieben stand. Kowalski knotete das Ende des Gurtes, der um Tiburskys Hals geschlungen war, an eine der Stützen. Diese reichten vom Waldboden bis zum Dach und bildeten das stabile Gerüst des Turms.
    Tibursky zitterte

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