Die Voliere (German Edition)
Bewährungshelfer hat sich sehr positiv geäußert. Über einen befreundeten Tierarzt hält Lefeber regelmäßigen Kontakt nach draußen. Klingt für mich alles nach ernst gemeintem Besserungswillen.«
»Die Statistik spricht gegen ihn, das muss ich Ihnen nicht erst erklären. Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter der statistisch basierten Prognose und Lefebers Faktoren lassen keine andere Schlussfolgerung zu: Er sollte bis an sein Lebensende weggesperrt bleiben.«
»Sie müssen den Leuten doch zugestehen, dass sie an sich arbeiten, dass sie bereit sind, sich zu bessern. Oder sind Ihre Statistiken und Ihr Computerprogramm völlig frei von Fehlprognosen?«
»Nein.« Nora ertappte Schröder bei einem versonnenen Blick auf das Bild seiner Frau. »Leider ist nichts auf der Welt frei von Fehlern. Nicht einmal ein von mir entworfenes Computerprogramm«, fügte er leise hinzu.
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Letztlich ist auch das nur eine Frage der Entscheidungsökonomie«, sagte Schröder schließlich. »Sehen Sie: Auf tausend Gutachten kommen hundert Fehlprognosen. Davon sind zwanzig fälschlicherweise Freigelassene, die erneut Straftaten begehen. Und achtzig fälschlicherweise Eingesperrte, die harmlos sind. Das ist statistisch einigermaßen erwiesen. Sie müssen sich nur fragen: Ist der Preis von achtzig armen Teufeln, die grundlos in Sicherungsverwahrung sitzen, angemessen, um die Rückfälle von zwanzig fälschlicherweise Freigelassenen zu verhindern? Ich finde, er ist mehr als angemessen. Ich bin nicht der Einzige, der gerne bereit ist, diesen Preis zu zahlen.«
»Man könnte sich auch fragen: Würden die zwanzig Freigelassenen auch dann wieder rückfällig, wenn man ihnen eine angemessene psychologische Betreuung zuteilwerden ließe? Wenn man sie mit Lockerungen oder Freigang auf die Wiedereingliederung vorbereiten würde? Und wie viele von den zwanzig gefährlichen Straftätern gehören eigentlich in psychiatrische Behandlung, statt sie wegzuschließen und sich selbst zu überlassen, so wie es heute in der Sicherungsverwahrung läuft? Außerdem: Wie wollen Sie beurteilen, wie sich ein Mensch in Freiheit verhalten wird, der die Freiheit seit fünfundzwanzig Jahren nur aus dem Fernsehen kennt?«
»Sicherheit gegen Freiheit. Und deshalb rate ich dazu, äußerst konservativ vorzugehen. Denn der potenzielle Schaden – und ich meine nicht nur den finanziellen –, den ein psychisch gestörter Straftäter anrichten kann, ist meines Erachtens wesentlich höher als die Kosten der Unterbringung von vier harmlosen Delinquenten. Um bei unserem Verhältnis zwanzig zu achtzig zu bleiben.«
»Diese Sichtweise hat dazu geführt, dass sich die Zahl der Sicherungsverwahrten seit den Achtzigerjahren verdreifacht hat, die Zahl der Gewaltverbrechen aber rückläufig ist. Für mich geht es bei dem Motto ›Sicherheit gegen Freiheit‹ um politisches Kalkül.«
»Haben Sie Kinder?«
Nora hielt Schröders Blick stand. »Das spielt hier nicht die geringste Rolle.«
»Fragen Sie mal die Mutter eines ermordeten Kindes, was sie von Verhaltenstherapien und Lockerungen im Strafvollzug hält.«
»Seit den Sechzigerjahren werden pro Jahr in der Regel drei bis fünf Kinder Opfer eines sexuell motivierten Tötungsdeliktes. Sie müssen dann in solchen Diskussionen immer herhalten, als ginge es nur um Extremfälle. Werfen Sie bitte nicht alle Sicherungsverwahrten in einen Topf!«
Nora wunderte sich zusehends über Professor Schröder. Der Mann war von einem neutralen Gutachter so weit entfernt wie ein Pinguin vom Nordpol. Natürlich war das ganz im Sinne vorsichtiger Richter, die unliebsame Überraschungen während der Verhandlung zu vermeiden suchten. Aber Schröder wurde schon seit Jahren nicht mehr als Gutachter herangezogen, seine letzte Beteiligung an einem Verfahren war um den Jahrtausendwechsel gewesen. Offensichtlich hatte ihn das Alter nicht milder gestimmt.
»Also ist das Ihre Empfehlung für Lefeber: wegsperren?«
»Einschließen und den Schlüssel wegwerfen.«
Nora seufzte und machte sich eine Notiz.
Schröder klappte den Aktenordner zu und ergriff den nächsten. »Rosen. Sozial verroht. Retardiert. Extrem hohes Gewaltpotenzial. Er hat nicht nur seine Komplizen bei der Entführung umgebracht, sondern auch seine Pflegeeltern.«
»Das Motiv wurde nie hundertprozentig geklärt.«
»Er wollte sich die Sozialleistungen unter den Nagel reißen.«
»Und darum hat er seine Pflegeeltern enthauptet?«
»Einen
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