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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Beruf ergreifen wollte, der etwas mit Tieren zu tun hatte. Zwar hatte er damals davon geträumt, Zirkusdirektor zu werden oder Löwendompteur, aber das Leben als Tierarzt gefiel ihm.
    Er war verheiratet gewesen, doch an der Frage ›Kinder ja oder nein?‹ war die Ehe zerbrochen.
    Nach dem Essen schlenderten sie den Lohrberg hinunter nach Südwesten, Richtung Bornheim. Der schmale geteerte Weg wand sich wie ein graues Band durch den Park und strahlte die Wärme ab, mit der die Sonne ihn am Vormittag aufgeladen hatte.
    Just in dem Moment, als Nora ein herbstlich gefärbtes Ahornblatt vom Boden aufhob, huschte keine zwei Meter vor ihr ein Schatten über den Weg. Erschrocken fuhr sie zurück und stieß dabei mit Bruno zusammen.
    »Eine Blindschleiche«, lachte er. »Von denen gibt es hier oben einige. Die meisten Leute halten sie für Schlangen, aber Schleichen zählen zu den Echsen.« Er hechtete über die Wiese und hob das Reptil vorsichtig hoch, um es Nora in seiner ganzen Pracht zu zeigen.
    »Sie können ihren Schwanz an mehreren Sollbruchstellen abwerfen, wenn sie sich zum Beispiel in den Fängen eines Raubtiers befinden.«
    »Und der wächst dann wieder nach?«, wollte Nora wissen.
    »Bei Eidechsen schon, aber nicht bei Blindschleichen. Schau, diese hier hat einen kugelförmigen Stumpf. Sie hat schon einmal um ihr Leben gekämpft und ein Stück von sich verloren.«
    »Das geht manchen Menschen ganz ähnlich«, sagte Nora versonnen und dachte an ihre Gefangenschaft in einem abrissreifen Papierrollenlager in Bockenheim, in der Gewalt zweier Psychopathen.
    Bruno legte die Schleiche wieder ins Gras und wischte sich die Hände an einem feuchten Taschentuch aus Noras Handtasche ab. Er sah sie lange an. Offenbar spürte er den Schatten, der sich urplötzlich auf sie gelegt hatte. Mit dem Daumen strich er zärtlich über ihre Wange. Sein Lächeln war so offen und liebevoll, dass Nora sich mit einem Mal wünschte, er würde sie küssen. Hier und jetzt, auf der Stelle. Aber er tat es nicht. Stattdessen griff er in die Innentasche seines Sakkos und holte zwei Eintrittskarten hervor.
    » La Bohème. Heute Abend. In der Frankfurter Oper.«
    Nora sah ihn erstaunt an. »Und wenn ich … schon etwas vorhabe? Oder Opern grundsätzlich nicht leiden kann und lieber Black Metal höre?«
    »Dann verfällt die Karte. Nein, dann verfallen beide Karten. Alleine habe ich keine Lust.« Bruno grinste. »Aber Black Metal kann ich mir bei dir nicht so recht vorstellen.«
    Nora dachte nach. Eigentlich ging ihr das alles viel zu schnell, sie kannte Bruno Albrecht kaum. Aber manchmal sollte man nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch hören. Und ihr Bauch gab in dieser Hinsicht ziemlich eindeutige Signale von sich.
    »Also gut. Wann beginnt die Vorstellung?«
    »Halb acht. Soll ich dich um halb sieben mit dem Auto abholen?«
    »Das kann ich mit meinem ökologischen Gewissen nicht vereinbaren. Wir treffen uns um sieben vor dem Opernhaus.«
    O Gott, sie brauchte dringend ein geeignetes Outfit für den Abend. Ceydas Garderobe fiel aus, die Abendkleider der attraktivsten kleinsten Frau Frankfurts gingen bei Nora höchstens als Miniröcke durch. Sie selbst besaß nur Hosenanzüge und Kostüme für den Arbeitsalltag. Es gab eigentlich nur ein einziges Kleid, das für diesen Anlass angemessen wäre, und das hing in einem Kleiderschrank in der Villa Winter, dem Haus ihres Vaters im Nordend. Und sie wusste noch nicht einmal, ob es ihr überhaupt noch passte.
    *
    Wilfried Winter stand mit ratloser Miene in dem begehbaren Kleiderschrank im ersten Stock seines Hauses, das Handy ans Ohr gedrückt.
    »Wie, sagst du, sieht das Abendkleid aus? Aus dunkelblauer Seide? Mit Stehkragen?«
    Lustlos schob er ein paar Kleiderbügel hin und her. Er hatte sich schon im Kleiderschrank seiner Frau nicht zurechtgefunden, da kannte er sich mit der Garderobe seiner Tochter schon gar nicht aus.
    »MA-NING-NING!«, brüllte er durch die offene Tür. Ein leises Trappeln von Füßen, dann stand die Hausangestellte vor ihm. Er drückte der kleinen rundlichen Filipina, die nach dem Tod seiner Frau Noras Vertraute, ja fast schon ein Mutterersatz gewesen war, das Handy in die Hand.
    Maningning lauschte mit gespannter Miene; auf einmal strahlte ihr Gesicht, dann drehte sie sich um die eigene Achse und zog mit sicherem Griff einen Bügel aus dem Kleiderschrank. Daran hing ein maßgeschneiderter, mitternachtsblauer vietnamesischer Áo dài, den Nora sich vor vielen Jahren in Hanoi

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