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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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angetrunken in einer Szenekneipe in Sachsenhausen und dachte mit Schrecken daran, dass sie heute, am geheiligen Sonntag, noch ins Büro musste.
    Ihr blieben zwei Tage, bis sie Schreyer das Gutachten vorlegen musste.
    Dienstag, 22. Oktober
    Schreyers Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er blätterte in dem zweihundertfünfzig Seiten starken Dokument und hakte die Liste der Fragen ab, die er sich zurechtgelegt und die Nora so gut es ging beantwortet hatte. Nun saß sie ihm wortlos gegenüber.
    Schreyer öffnete eine kleine Metalldose und hielt sie Nora hin. »Mint?«
    Nora nahm ein Pfefferminzbonbon.
    Ihr Chef lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ausgezeichnete Arbeit. Ich bin sehr zufrieden.«
    »Kann ich mir denken. Sie bekommen schließlich genau das, worauf Broussier und Sie es von Anfang an angelegt haben.«
    Schreyer zog fragend die Schultern hoch. »Ich verstehe nicht?«
    »Was hätte Herr Broussier wohl davon gehalten, wenn ich empfohlen hätte, Lefeber und Rosen in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen?«
    Schreyer sah sie lange an.
    Nora wusste, dass er seinen Parteigenossen anrufen und ihn von der Entwicklung in Kenntnis setzen würde, sobald sie zur Tür hinaus war.
    »Sie sind als unabhängige Sachverständige dazu angehalten, das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen. Ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Empfehlungen eins zu eins vor dem Richter vertreten werden.«
    »Und Sie sind dazu angehalten, die Aufgaben in der Dienststelle nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten zu verteilen.«
    Schreyer spitzte die Lippen und betrachtete Nora mit starrem Blick. Dann entspannte er sich. »Wie auch immer, eine hervorragende Arbeit. Von dieser ADS-Technologie habe ich noch nie etwas gehört. Gibt es da bereits ein hessisches Pilotprojekt?«
    »Unsere Kandidaten wären das Pilotprojekt.«
    »Na, wir werden sehen, wie das Gericht entscheidet. Es ist ja sowieso kaum mehr als eine Pro-forma-Veranstaltung. Sonst noch was?«
    »Warum gab es keinerlei Resozialisierungsmaßnahmen? Kein Übergangsmanagement, nicht einmal als längst feststand, dass man die Männer auf freien Fuß setzen würde?«
    »Das müssen Sie schon Doktor Rauch fragen.«
    »Ich bin überzeugt, dass vor allem Rosen und Lefeber nur dann erfolgreich wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können, wenn man in den nächsten Monaten intensiv mit ihnen arbeitet. Ein Bewährungshelfer alleine kann das nicht schaffen. Ich wäre bereit, die Männer psychologisch zu betreuen.«
    Schreyer schüttelte energisch den Kopf. »Kommt nicht infrage. Ich brauche Sie dringend hier in der Dienststelle.« Zur Bestätigung tippte er mit der Hand auf einen Aktenberg, der sich zu seiner Linken auftürmte.
    »Ich könnte unbezahlten Urlaub nehmen.«
    »Ich sagte bereits, dass ich Sie hier brauche.« Schreyers Miene war so abweisend wie die Mauern, hinter denen Lefeber, Rosen und Tibursky derzeit noch ihren Alltag fristeten.
    Nora bezwang ihren Zorn, stand auf, klemmte sich den Laptop unter den Arm und verließ seufzend das Büro.
    »Sie wissen ja, wo Sie mich finden, Herr Schreyer.«
    Kaum hatte sie das Vorzimmer verlassen, da machte sie auch schon wieder kehrt und legte den Laptop auf Siggis Schreibtisch.
    »Nach vier Wochen ist gestern endlich mein eigener Rechner gekommen«, erklärte sie mit demonstrativer Fröhlichkeit. »Vielen Dank für die Leihgabe.«
    Die Sekretärin würdigte sie keines Blickes.
    Mittwoch, 30. Oktober
    Acht, vier, zweiundzwanzig, drei.
    Rosen hört die Schritte auf dem Gang. Acht Stiefel, die über den Betonboden stampfen. Vier Männer, die sich nähern. Rosen weiß, warum sie kommen, aber er ignoriert es. Er ist fertig fürs Zubettgehen. Trägt seinen Schlafanzug, hat die Zähne geputzt, sitzt auf dem Bett, die Hände wie zum Gebet verschränkt. Über Willis Käfig hat er eine Decke gebreitet. Zweiundzwanzig Uhr. Willi schläft auch noch nicht. Rosen hört ihn aufgeregt mit den Flügeln schlagen. Auch Willi spürt, dass etwas nicht stimmt. Dass Rosen Angst hat. Panische Angst.
    Die Nachrichten sind zu Ende. Rosen hat das Radio ganz leise gedreht, um niemanden zu stören. Er hat gute Ohren, hört jedes Wort. Sie haben von ihm gesprochen, von Adam, von Tibursky. Gewaltverbrecher wurden sie genannt.
    Tillich und zwei andere kommen durch die Tür, den Direktor im Schlepptau, gefolgt von einer jungen Frau mit Brille. Sie trägt einen Pappkarton.
    Dr. Rauch schaut verdutzt, als er Rosen im Schlafanzug auf dem Bett sitzen

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