Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
Vom Netzwerk:
sieht.
    »Hat man Sie nicht aufgefordert, zu packen?«
    »Haben wir, Herr Direktor, aber der Herr stellt sich stur«, erklärt Tillich eilends.
    Rauch klingt ungehalten. »Herr Rosen, packen Sie bitte Ihre Sachen. Die beiden anderen Herren warten bereits im Wagen!«
    Rosen schüttelt stumm den Kopf. Hier bekommen sie ihn nur mit Gewalt heraus.
    Rauch seufzt. Er nickt Tillich zu. Der Schließer öffnet den Schrank. Er zieht einen Koffer aus dem unteren Fach, der erst vor ein paar Tagen geliefert wurde. Er riecht nach Plastik und irgendwie säuerlich, der Anhänger mit den Pflegehinweisen ist noch daran befestigt. Tillich knallt den Koffer auf den Tisch. Aus dem Käfig hört man wildes Flügelschlagen.
    Rosen springt auf, um Willi zu beruhigen. Tillich weicht erschrocken zurück. Zwei starke Hände drücken Rosen aufs Bett. Er will etwas sagen, aber er bekommt keinen Ton heraus.
    Tillich wirft Rosens Kleidung achtlos in den Koffer, dann räumt er die Schreibtischschublade aus. Mit hochgezogenen Brauen mustert er die zerfledderte Chewbacca-Puppe, bevor er sie in den Koffer legt. Er zieht den Reißverschluss zu und sieht seinen Chef erwartungsvoll an.
    »Herr Rosen, ziehen Sie sich bitte an. Sie halten die ganze Aktion auf.«
    Rosen schüttelt heftig den Kopf. Die Schließer grinsen, sie scheinen sich zu amüsieren, wie über ein unfolgsames Kind.
    Rauch räuspert sich. »Also gut. Meine Herren!«
    Auf Rauchs Signal hin packen zwei Schließer Rosen, drehen ihm die Arme auf den Rücken. Tillich tritt vor und lächelt süffisant, während er Rosens Schlafanzugoberteil aufknöpft.
    Rosen holt tief Luft, dann schüttelt er sich wie ein nasser Hund, befreit sich aus dem Klammergriff der Schließer und stößt Tillich beiseite.
    Tillich zieht den Schlagstock. Dr. Rauch bedeutet ihm, die Waffe wieder einzustecken. Rosen setzt sich aufs Bett und starrt verbissen zu Boden. Er wird diese Zelle nicht verlassen, koste es, was es wolle.
    Dr. Rauch spricht in sein Handy. Rosen beobachtet ihn.
    »Wir brauchen hier noch einen Moment.«
    Er lauscht konzentriert.
    »Was für ein Vorschlag?«
    Er nimmt Rosen ins Visier, nickt.
    »Na gut, schicken Sie ihn her.«
    Wenige Augenblicke später betritt Lefeber die Zelle. Setzt sich neben Rosen aufs Bett und streicht ihm über den Rücken.
    »Wir machen das zusammen, Heinz«, sagt er. »Ich helfe dir. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
    Rosen spürt, wie ihm die Tränen kommen. Es ist ihm peinlich, weckt Erinnerungen an den Pflegevater, der ihn schlug, wenn er weinte, so lange, bis er die Strafe stoisch ertrug. Seit fünfundzwanzig Jahren hat er keine Träne mehr vergossen. Er wischt sich mit dem Ärmel über die Augen. Dann zieht er sich um, ohne Scham und schniefend, vor dem Schließer, vor Tillich, Dr. Rauch, der jungen Frau und Adam Lefeber.
    Der Direktor bittet ihn, seine Armbanduhr abzunehmen. Rosen sieht Lefeber erwartungsvoll an. Der nickt und hält wie zur Bestätigung seine linke Hand vor Rosens Gesicht. Eine neue Uhr, dunkelblau, ein wenig klobig. Das Band hat keinen Verschluss. Es scheint verschweißt zu sein.
    Rosen nimmt die billige Digitaluhr ab, die ihm viele Jahre wertvolle Dienste geleistet hat, und streckt den Arm aus. Die junge Frau mit der Brille nimmt die neue Uhr aus dem Karton, legt sie Rosen an, schließt das Band mit einer Zange und aktiviert die Uhr mit einem Knopfdruck. Ein Piepen ertönt, die Zeiger drehen sich wie von Geisterhand und bleiben dann auf der korrekten Zeit stehen. Die Frau nickt. Rauch bedeutet Rosen, die Zelle endlich zu verlassen.
    Er nimmt den Käfig und trottet hinter Lefeber her auf den Gang. Er wird nicht zurückschauen, unter gar keinen Umständen – er muss sein Zuhause aus dem Gedächtnis verbannen.
    »Sie nehmen den Koffer, Tillich«, hört er Dr. Rauch sagen.
    Ein VW-Bus mit getönten Scheiben wartet an einem Nebenausgang, die Schiebetüren sind geöffnet. Durch die feuchtkalte Nachtluft waren die Scheiben beschlagen, Wassertropfen rinnen über den Lack, Rosen fröstelt. Die Luft riecht nach Zigarettenqualm, Kohl und Fleisch aus der Anstaltsküche – die Öffnungen der Abluftschächte liegen nur wenige Meter neben dem Lieferanteneingang. Weit entfernt ist Stimmengewirr zu vernehmen, hin und wieder erhellt der Strahl eines Scheinwerfers die Dunkelheit.
    »Schnell«, drängt jemand.
    »Wo fahren wir hin?«, fragt Rosen.
    Seine Stimme klingt laut, übertönt die Lüftungsgeräusche. Die Schließer halten erschrocken den Zeigefinger an die

Weitere Kostenlose Bücher