Die Voliere (German Edition)
paar Schritte von der Pförtnerloge am Haupteingang entfernt, der wegen seiner breiten Flure, der klar geschnittenen Grundrisse und der hohen Decken von innen weit freundlicher wirkte als von außen.
Nora betrat das Gebäude wie jeden Morgen um kurz nach sieben Uhr durch den Haupteingang. Ihre Vorliebe für den frühen Arbeitsbeginn hatte sie aus ihrer Zeit bei der MK5 beibehalten.
Der Empfang war bereits ab sieben Uhr morgens besetzt und der Pförtner wickelte gerade sein Frühstück aus. Als Nora mit einem Nicken an ihm vorbeieilen wollte, winkte er sie zu sich heran.
»Frau Winter vom ZPD?« Der Mann mit dem Walrossschnurrbart und dem tadellos gebügelten Uniformhemd sah sie verschwörerisch an. »Sie haben Besuch.«
»Um fünf Minuten nach sieben?«, fragte sie erstaunt.
Der Pförtner deutete auf die Besucherstühle hinter einem angedeuteten Sichtschutz.
Heinz Rosen hatte sich in einen der Freischwinger gequetscht und schaukelte vor und zurück. Den Vogelkäfig hatte er auf dem Schoß, neben ihm stand ein großer schwarzer Rollenkoffer. Ein paar Stühle weiter saßen zwei Streifenbeamte und beobachteten die Szenerie mit süffisanter Miene. Der Kleinere der beiden gähnte herzhaft.
Als Rosen Nora entdeckte, versuchte er ein Lächeln, das aussah, als wäre ihm unlängst jemand auf die Zehen getreten.
Nora stellte ihre Aktentasche ab. Was um Himmels willen wollte der Mann hier an ihrem Arbeitsplatz?
»Guten Morgen, Herr Rosen. Wollen Sie etwa zu mir?«
Rosen bot ihr die Hand zum Gruß. Sie war groß und klobig, jedoch angenehm warm.
»Haben Sie Herrn Rosen hergebracht?«, wandte Nora sich an die Polizisten.
»Nur die letzten paar Kilometer. Wir haben ihn auf der Autobahn aufgegriffen«, erwiderte der größere der beiden, ein knochiger Mann, der unablässig mit den Fingern auf sein Knie trommelte.
»Sie haben gesagt, wenn ich Hilfe brauche, darf ich mich bei Ihnen melden«, meinte Rosen kleinlaut.
»Richtig, das war, als Sie in der JVA saßen«, erklärte Nora. »Sie haben doch einen Bewährungshelfer, Herrn Neumann, kümmert der sich nicht um Sie?«
»Die wollen uns in dieses Altersheim sperren, ein riesengroßes, verlassenes Haus. Nur für uns drei. Und draußen überall Menschen, die uns hassen, die uns vertreiben wollen.«
»Die Polizei beschützt Sie vor diesen Leuten. Und Adam Lefeber, der kümmert sich doch auch um Sie.«
Rosen senkte den Kopf und starrte zu Boden. »Ich habe Angst. Vor dem Haus. Vor den Leuten. Und vor der Polizei.«
»Ich gehöre auch zur Polizei.«
»Ja, aber …« Seine Stimme versagte. Wie ein Häufchen Elend drückte er sich noch ein wenig tiefer in den Sitz. Seine Schultern zuckten. Gleich würde er in Tränen ausbrechen. »Kann ich … nicht bei Ihnen …?«
»Bei mir was?«
»Bei Ihnen wohnen«, schniefte er.
Nora hörte den kleineren der beiden Polizisten lachen. Doch nach Scherzen war ihr nicht zumute. Sie warf dem Uniformierten einen Blick zu, dass ihm das Lachen verging.
»Herr Rosen, deswegen sind Sie von Frankfurt nach Wiesbaden gekommen?«
»Ich kann für Sie kochen. Ich bin ein guter Koch.«
»Ich brauche keinen Koch, Herr Rosen! Und es kann keine Rede davon sein, dass Sie bei mir wohnen!« Nora war laut geworden. Ihre Stimme erzeugte einen Widerhall in der Eingangshalle und ein paar Kollegen, die gerade das Gebäude betreten hatten, sahen interessiert herüber.
»Tut mir leid, ich wollte Sie nicht anschreien.« Nora schloss die Augen, aber als sie sie wieder öffnete, saß Rosen immer noch reglos da, den Blick zu Boden gerichtet. Aus irgendeinem Grund fand sie seine Unterwürfigkeit noch schlimmer, als wenn er wütend geworden wäre.
»Die Herren bringen Sie sicher gerne nach Frankfurt zurück. Sie und Ihren Vincent.«
»Willi.«
»Von mir aus auch Willi.«
Kopfschütteln.
»Möchten Sie lieber, dass ich Sie zurückfahre?«
Abermals Kopfschütteln.
»Kann ich denn sonst irgendetwas für Sie tun, Herr Rosen?«
Schulterzucken. »Wenn ich nicht zu Ihnen kommen kann.«
»Nein, können Sie nicht.«
Rosen machte keinerlei Anstalten, zu gehen.
Nora überlegte fieberhaft, was sie unternehmen konnte, um die Situation zu entschärfen. »Also gut. Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Sie fahren zurück nach Frankfurt und ich komme noch diese Woche zu Ihnen und Ihren beiden Kollegen. Wir setzen uns mit Herrn Neumann zusammen. Vielleicht können wir gemeinsam eine andere Unterkunft für Sie finden, die Ihnen besser gefällt.«
Rosen schüttelte energisch
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