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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Verlorenheit schnell vergessen konnte. Aber als sie auf dem Parkplatz des ZPD erneut den Streifenwagen stehen sah, dessen Kennzeichen auf seine Zugehörigkeit zum Frankfurter Polizeipräsidium verwies, kroch die Beklemmung wieder in ihr hoch. Nachdem sie ausgestiegen war, ballte sie die Fäuste, spürte dem Kribbeln nach, bis sie sich ruhiger fühlte, und eilte dann entschlossen auf den Eingang zu. Sie steuerte direkt die Besucherecke an.
    Noch bevor Rosen einen Ton von sich geben konnte, ergriff einer der beiden Polizisten das Wort. »Wenn er Sie belästigt, Frau Kollegin, dann …«
    »Schon gut«, entgegnete Nora, während sie Rosen von oben bis unten musterte. Der Mann sah, man konnte es nicht anders sagen, zum Kotzen aus. Zu seiner ohnehin schon teigigen, ungesunden Gesichtsfarbe gesellten sich nun noch dunkle Augenringe und ein Geruch wie von einem Sack ungewaschener Kleidung.
    »Sie sind ja ganz schön hartnäckig«, sagte Nora, doch es klang weniger tadelnd, als sie geplant hatte.
    Rosen lächelte schwach. Dann stieß er ein bellendes Husten hervor.
    »Haben Sie in der Notunterkunft übernachtet?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Herr Rosen hat es vorgezogen, die Nacht auf einer Parkbank zu verbringen«, antwortete einer der Polizisten.
    Nora schüttelte verständnislos den Kopf und strich sich über das kantige Kinn. »Bei den Temperaturen? Was mache ich denn jetzt mit Ihnen?«
    So sehr sie sich auch dagegen wehrte, Rosen tat ihr schlicht und ergreifend leid. Ihn erneut abzuweisen, brachte sie nicht übers Herz. Also schnalzte sie mit der Zunge und sagte: »Haben Sie schon gefrühstückt?« In diesem Moment hätte sie nicht sagen können, wer dankbarer dreinschaute: Rosen oder seine beiden Bewacher.
    Eine halbe Stunde später standen auf dem Tisch in der Cafeteria benutztes Frühstücksgeschirr, eine leere Kaffeekanne und ein Vogelkäfig. Rosen hatte sich nicht dazu bewegen lassen, Willi auf dem Boden abzustellen.
    »Nur noch mal zur Erinnerung, Herr Rosen, damit Sie sich keine falschen Hoffnungen machen: Sie werden nicht bei mir wohnen und nicht für mich kochen.«
    Rosen nickte ergeben, er ahnte, dass das noch nicht das Ende der Geschichte war. Nora ließ sich die Nummer von Rosens Bewährungshelfer geben und als der ihr erklärte, dass er Rosen unmöglich so kurzfristig in einer Wohngruppe oder sogar in einer eigenen Wohnung unterbringen konnte, wählte sie eine weitere Nummer.
    Ihr Gesprächspartner ging gleich beim ersten Klingeln ran. Während des gesamten Gesprächs ließ Nora Rosen nicht aus den Augen.
    »Ich bin es, Nora. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Einen großen Gefallen.«
    Eine Angestellte der Cafeteria räumte das Geschirr ab, dabei fiel ein Löffel zu Boden. Rosen bückte sich und reichte ihn der kleinen korpulenten Frau in der hellblauen Uniform. Die Frau bedankte sich erfreut. Rosen mied ihren Blick.
    »Ich möchte dich bitten, für ein paar Tage einen Bekannten von mir aufzunehmen. Eine Übergangslösung, bis wir eine endgültige Unterkunft gefunden haben.«
    Nora lauschte der Stimme am anderen Ende der Leitung, dann sagte sie: »Der Mann ist«, sie räusperte sich, »völlig harmlos.«
    Die beiden Polizisten warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
    »Habe ich harmlos gesagt? Nein ich meinte, er ist ganz normal. Hör zu, kann ich ihn heute noch vorbeibringen? Wie wäre es mit – jetzt gleich? Ich weiß, es ist ein bisschen plötzlich, aber du bist der Einzige, der mir im Moment helfen kann.«
    Nora sagte noch ein paar Mal »Ja«, »Nein« und »Natürlich«, dann beendete sie das Gespräch und steckte das Handy endgültig in die Tasche.
    »Haben Sie fertig gefrühstückt?«, wandte Nora sich an Rosen. »Ich werde Sie bei einem Freund unterbringen. Für ein paar Tage, bis wir einen Platz im Wohnheim für Sie gefunden haben.«
    Rosen strahlte sie dankbar an.
    »Siehst du, Willi«, sagte er zu seinem Wellensittich, »ich hab dir doch gesagt: Die gute Frau Doktor Winter lässt uns nicht im Stich.«
    *
    Dreiundfünfzig. Zwei. Vier.
    Dreiundfünfzig Schritte vom Auto bis zur Haustür. Frau Doktor Winter klingelt zwei Mal. Vier Treppen bis zur Wohnung.
    G. Richter steht am Klingelschild. Ein schwarzes Kunststoffband, die Rückseite mit Klebefilm beschichtet, mit weißen, reliefartig geprägten Großbuchstaben. Man stellt sie mit einer Beschriftungsmaschine her, eine von der Art, die sie auch in der JVA haben. Wenn man die Hebel zusammendrückt,

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