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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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kann man gleichsam fühlen, wie sich die Buchstaben in das weiche Plastik pressen, bevor sie sich schmatzend daraus lösen.
    Rosen hat mehrere Hundert Plastikbehälter für Lebensmittel mit einer solchen Maschine beschriftet und die Arbeit hat ihm bei aller Eintönigkeit immer Spaß gemacht. Wie aus der schwarzen Leere Namen und Bezeichnungen auftauchten, dieser Gedanke fasziniert ihn noch heute. Das Klingelschild von G. Richter erinnert ihn daran und verleiht ihm ein gutes Gefühl.
    Der Mann in der Tür ist glatt rasiert, vierschrötig, breitschultrig, hochgewachsen – beinahe so groß wie Rosen selbst. Seine Miene wirkt, was Rosen nicht überrascht, wenig einladend. Beim Anblick der beiden Besucher flackert so etwas wie Erkennen in seinen Augen auf, bevor er seine Arme vor der muskulösen Brust verschränkt.
    »Das hättest du mir sagen müssen, Nora.«
    Die gute Frau Doktor setzt ein schuldbewusstes Gesicht auf. »Hättest du mir dann überhaupt die Tür geöffnet? Oder ihm?«
    Rosen möchte am liebsten umkehren. Hier ist er nicht erwünscht. Vielleicht kann er doch bei Frau Doktor unterkommen? Er ahnt, dass ein Vorstoß in dieser Richtung auf wenig Gegenliebe stoßen wird.
    »Du und dein verdammtes Mitgefühl«, schimpft Richter. »Wenn du so weitermachst, hast du bald die halbe Frankfurter Unterwelt unter deine Fittiche genommen.«
    »Dürfen wir trotzdem reinkommen?«
    Nach kurzem Überlegen gibt Richter den Eingang frei, geht mit großen Schritten in Richtung Gästezimmer voran.
    Er klopft auf das frisch bezogene Bett. »Eine Woche. Keinen Tag länger.«
    »Vielen Dank, Gitte, ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.« Nach einem überraschten Blick auf ihre Armbanduhr verabschiedet sich Nora von Rosen und Richter und eilt zur Wohnungstür hinaus.
    Richter sieht ihr auffallend lange nach. Er öffnet die Türen des schmucklosen Kleiderschranks in dem gleichermaßen schmucklosen Raum.
    »Hier können Sie Ihre Sachen einräumen.«
    »Danke«, sagt Rosen, und noch einmal »Vielen Dank«. Doppelt hält besser. Er muss sich zusammenreißen, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen. Rosen sieht sich im Zimmer um. In der Ecke ein alter Sekretär mit einem Computer und mehren Papierstapeln; Rosen glaubt zumindest, dass es sich um einen Computer handelt, er kennt so ein Gerät nur aus dem Fernsehen. Der Raum ist höchstens zehn Quadratmeter groß, das sind drei mehr als in der JVA; die Tapeten an den Wänden sehen aus, als seien sie vor dreißig Jahren angebracht worden. Ein Jugendbett, der Sekretär mit Schreibtischstuhl und der Kleiderschrank sind die einzigen Möbelstücke. An der Wand über dem Bett hängt ein verblichenes Star-Wars- Plakat. Rosen denkt an die Chewbacca-Puppe im Seitenfach des schwarzen Rollenkoffers und spürt zum ersten Mal, seit er das Gefängnis verlassen hat, wie die Anspannung abflaut.
    Als hätte Richter seine Gedanken gelesen, sagt er mit einem drohenden Unterton: »Bis nächsten Freitag, dann sind Sie wieder weg.« Sein Blick ist genauso frostig wie seine Stimme.
    Dann fügt er eine Spur freundlicher hinzu: »Kaffee?«
    Rosen nickt und streicht mit der flachen Hand über das frisch gewaschene Bettzeug. Doch so etwas wie ein Zuhause. Für ein paar Tage wenigstens.
    Auf dem Fensterbrett steht ein Kaktus mit einer zartgelben Blüte. Erst jetzt nimmt Rosen das Fenster bewusst wahr. Ein Fenster mit Griff und ohne Gitter. Es drängt ihn, den Himmel zu sehen, ohne trennende Glasscheibe zwischen ihm und dem Blau. Rosen öffnet das Fenster, es klemmt und die Scharniere knirschen. Von draußen fährt ein eisiger Windstoß herein, zwei gelbe Lindenblätter wehen durch die Öffnung, bleiben auf der Fensterbank liegen.
    Rosen stützt sich auf das Fensterbrett, lehnt sich hinaus, reckt die Nase zum Himmel empor und schnuppert. Die Außenluft mischt sich spürbar mit der Wärme und dem Menschengeruch im Innern des Raumes, er lehnt sich weiter aus dem Fenster, will die Luft unverfälscht genießen und stellt sich die Frage, wer und was dieser Richter für die gute Frau Doktor sein mag.
    Noch weiter lehnt er sich hinaus, doch in dem Moment, als er aus dem Gleichgewicht zu geraten droht, zieht ihn eine kräftige Hand zurück und Richter sagt: »Der Kaffee ist fertig.«
    Später sitzen sie sich schweigend am Küchentisch gegenüber. Rosen pustet, der Kaffee ist so heiß. Sein Gastgeber macht ein finsteres Gesicht.
    Rosen will gut Wetter machen. »Sind Sie ihr Freund?«
    »Wessen Freund?«
    G.

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