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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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waren Arbeiter gewesen, die das Haus renovieren sollten. Oder Touristen, die Pilze suchten.
    Mit Polizeischutz?
    Das Rauschen in seinen Ohren schwoll wieder an.
    Henk musste her. Jemand musste umgehend bei der Schreckenmühle nachsehen, was dort vor sich ging.
    *
    Der Aussiedlerhof Schreckenmühle bestand aus einem Wohnhaus mit angrenzendem Stall und Scheune sowie zwei Gebäuden, die um einen weitläufigen Hof herum angeordnet waren.
    Eines der Wirtschaftsgebäude war die ehemalige wasserbetriebene Knochenmühle. Dort waren bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Tierknochen in einer großen mit Stahlkugeln gefüllten Trommel zu mineralischem Dünger verarbeitet worden. Das wertvolle Mahlwerk aus Industriestahl war irgendwann im Laufe des Krieges demontiert und zu Kriegsgerät umgearbeitet worden, ansonsten befand sich die Mühle einschließlich des leer geräumten Knochenlagers weitgehend im Originalzustand. Sowohl der Bach hinter dem Gebäude als auch der künstlich angelegte Teich, der die Steuerung des Mahlvorgangs ermöglichte, waren seit Jahrzehnten ausgetrocknet.
    Vor der Außenmauer der Mühle, im Hofbereich, befand sich ein riesiger Käfig, ein Drahtgeflecht aus rostigen Metallstäben, an denen Fetzen blauer Plastikfolie hingen. Die Tür, die den Zugang bildete – ein einfacher mit Draht bespannter Holzrahmen –, hing nur halb in den Angeln, das Holz war zersplittert, der Draht zerrissen. Die Voliere war ein Bild des Jammers. Seit der Aufgabe des Gehöfts war sie von Wanderern oder Jugendlichen als Müllabladeplatz und Toilette missbraucht worden. Brandspuren am Boden ließen auf längst erloschene Lagerfeuer schließen, in den Kohleresten lagen nass glänzend noch ein paar unversehrte Holzstücke. An einem, dem Ende eines Stuhlbeins, klebte noch ein Filzgleiter. Fetzen von Toilettenpapier schwammen in einer Pfütze.
    Der Eingang zum Hauptgebäude befand sich auf der Nordseite. Als Neumann den Schlüssel umdrehte und die Tür öffnen wollte, fiel die Klinke ab und landete klappernd auf dem Boden. Kopfschüttelnd steckte er sie in die Halterung zurück und trat ein.
    Zur Linken stand im Flur eine offensichtlich selbst gezimmerte Garderobe. An der rechten Wand führte eine schmale mit Teppichboden ausgelegte Holztreppe nach oben, direkt davor die Eingangstür zum Wohn- und Esszimmer.
    Hinter der Treppe machte der Flur eine Biegung nach links, von dort aus gingen auf der Südseite je eine Tür in den Wirtschaftsraum, das Gästezimmer und das Badezimmer ab. An der Nordseite lag der Zugang zur Küche mit angrenzender Vorratskammer, die außerdem über eine Tür ins Freie verfügte.
    An der Ostseite, zwischen Badezimmer und Vorratskammer, befand sich eine schwere breite Tür, die – so vermutete Neumann – in den Stall führte.
    Neumann machte einen kurzen Rundgang durch die Räume im Erdgeschoss, die einigermaßen gut in Schuss waren. Offenbar hatte man den unteren Teil des Gebäudes im Lauf der Jahre mehrmals renoviert: Fliesenfußböden wechselten sich mit PVC und Laminat ab, die Aufputzleitungen für die Stromversorgung stammten nicht alle aus derselben Epoche, die Zimmertüren waren ein kunterbuntes Sammelsurium, was Stilrichtungen und Materialien betraf.
    Dann ging es an die Zimmerverteilung im Obergeschoss. Hinter Neumann schleppten Rosen, Tibursky und Lefeber ihre Siebensachen die knarzende Treppe hinauf, ihnen folgten die Fahrer mit Umzugskartons. Selbst die zur Rund-um-die-Uhr-Bewachung abgestellten Polizeibeamten packten hilfsbereit mit an.
    Im ersten Stock gab es vier Zimmer, mit knapp achtzehn Quadratmetern alle etwa gleich groß. In einem war eine Bodendiele durchgebrochen, ob aus Altersschwäche oder als Folge von Zerstörungswut ließ sich nicht sagen; sie gab den Blick auf die Zwischendecke frei, weshalb dieser Raum unbewohnbar war. An der Tür klebte ein Pappschild, auf das jemand mit Rotstift ungelenk einen Totenkopf und die Worte Vorsicht! Lebensgefar! gekritzelt hatte. Die Verteilung der verbleibenden Räume erfolgte mit einigem Schulterzucken, lediglich Tibursky bat darum, das Zimmer im Südwesten beziehen zu dürfen, nachdem er entdeckt hatte, dass es eine in der Wand versteckte Tür zur Scheune besaß, die direkt über dem Stall lag.
    Der Zustand der Räumlichkeiten im Obergeschoss war wesentlich schlechter als derjenigen im Erdgeschoss. Die Bodendielen waren abgestoßen, in der Mitte von Rosens Zimmer leuchtete auf dem Fußboden ein riesiger weißer Fleck – Neumann vermutete, dass hier

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