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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Dorf und für mich.«
    »›Ich will den Menschen hier eine Zukunft geben. Arbeitsplätze schaffen.‹ Neunzehn warst du, als du das zu mir gesagt hast. Damals hattest du gerade die ersten Flaschen am Küchentisch deines Vaters abgefüllt und davon geträumt, eines Tages eine große Brauerei zu führen. Du warst schon so – erwachsen. Verantwortungsbewusst. Das hat mir imponiert. Und was ist davon übrig geblieben?«
    Anna lachte verbittert. »Und alles wegen dieser Ruine.«
    Kiefer richtete sich auf und beugte sich über seine Frau. Anna wich in ihr Kissen zurück.
    »Kein Wort mehr, hörst du?«, fauchte er.
    Mit einem Klicken versank das Schlafzimmer in Dunkelheit.
    Kiefer ließ sich wieder auf seine Seite fallen. Sein Blutdruck war auf hundertachtzig. In diesem Zustand konnte er unmöglich einschlafen. Neben sich hörte er seine Frau leise atmen und gelegentlich schniefen. Das Licht eines Autoscheinwerfers fiel durch das Fenster an die Decke, huschte von einer Ecke zur anderen. Der Wagen kam aus dem Wald und fuhr in Richtung Dorf. Kiefer wunderte sich, dass so spät noch jemand auf diesem Saumpfad unterwegs war. Er stand auf und ging zum Fenster, aber das Auto war bereits verschwunden.
    Die Schreckenmühle mochte eine Ruine sein, aber sie war der Ort, an dem er aufgewachsen war. Wo er als Knirps in einem Seitenarm des Mühlenbachs Steine zu einem Damm aufgeschichtet hatte. Wo er aus Vogelnestern zwanzig Meter über dem Waldboden Eier gestohlen und mit einer Mischung aus Scham und Faszination aufgeschlagen hatte, um dann zuzuschauen, wie das Eigelb in dicken Tropfen einen moosbewachsenen Fels hinablief. Wo er als Heranwachsender im Holzlager unter dem betäubenden Geruch von Harz zum ersten Mal ein Mädchen geküsst und seine Hand unter ihre Bluse geschoben hatte.
    Ein Bild stahl sich in seine Gedanken, ein Wunschtraum: Er stand in Albrechts Praxis und füllte einen Scheck aus. Natürlich mit einem Betrag weit unter der Summe, die er bei der Versteigerung hätte berappen müssen. Und dann polierte er dem Kerl die Fresse. Die Vorstellung löste bei Tobin Kiefer ein warmes Gefühl in der Magengegend aus. Und eine Erektion.
    Anna und Tobin Kiefer schliefen seit Jahren nicht mehr miteinander. Als Ulf zwei Jahre alt war, hatte sie eine Fehlgeburt gehabt, zwei Jahre später eine weitere und dann noch eine dritte; danach war ihr die Lust völlig vergangen. Immerhin konnte er sie alle paar Wochen dazu bewegen, ihn mit der Hand zu befriedigen.
    Er holte tief Luft, dann suchte er ihre Hand unter der Decke und führte sie in seinen Schritt.
    Sie zog ihre Hand weg. Das erste Mal in fünfundzwanzig Jahren Ehe.
    Na gut. Er war grob gewesen. Ein bisschen angetrunken.
    Kein Grund, sich zu verweigern.
    Tobin suchte die Hand erneut, zog sie zu sich, diesmal schob er sie direkt in seine Pyjamahose.
    Anna versuchte abermals, sich ihm zu entziehen, aber er hielt ihr Handgelenk eisern fest.
    Ihre Finger lagen auf seinem steifen Glied, rührten sich jedoch keinen Millimeter.
    Er begann, ihr Handgelenk auf und ab zu führen, aber sie tat rein gar nichts, um ihn zu unterstützen. Unverdrossen versuchte sie, sich aus seinem Klammergriff zu befreien.
    Schließlich gab er ihre Hand mit einem Seufzer frei. Anna drehte sich augenblicklich zur Seite, kehrte ihm den Rücken zu.
    Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis das Pfeifen in seinen Ohren verschwand.
    *
    Auf der Fahrt von Scheelbach zurück nach Frankfurt war Nora beim monotonen Röhren des Landrovers eingeschlafen. Obwohl Bruno sie nur sanft an der Schulter berührte, um sie zu wecken, schreckte sie hoch. Zwar wusste sie nicht mehr, was sie geträumt hatte, aber ihr wildes Herzklopfen war ein deutliches Anzeichen für einen Albtraum.
    »Wir sind da.«
    Die Gartenstraße lag vor ihr, es hatte wieder geregnet, und die Straßenbahnschienen glänzten im Licht der Straßenlaternen orangefarben, als wären sie aus glühendem Stahl frisch auf die Straße gegossen worden. Nora sah durch das Seitenfenster am Haus hoch. In der Küche brannte noch Licht. Ein Blick auf die Uhr: kurz vor halb elf.
    Nora rekapitulierte, wie sie vor eineinhalb Stunden vor dem Gemeindehaus aus Brunos Wagen aus- und in ihren Mini eingestiegen war. Wie sie den Motor angelassen und den Rückwärtsgang eingelegt hatte und bereits nach wenigen Metern verwirrt wieder ausgestiegen war: Alle vier Reifen waren platt – vermutlich durchstochen. Zum zweiten Mal innerhalb von eineinhalb Wochen hatte sich jemand an ihrem

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