Die Voliere (German Edition)
Auto vergangen. Sie war spontan in Tränen ausgebrochen. Es war einfach alles zu viel – ihr missglücktes Engagement im Gemeindehaus, der Angriff auf die Schreckenmühle und nun auch noch das. Gott sei Dank hatte Bruno mit laufendem Motor gewartet, sonst hätte sie zu Fuß durch den Wald zum Hof zurücklaufen müssen, um dort zu übernachten – eine absolute Horrorvorstellung. Er hielt sie fest im Arm, beruhigte sie mit seiner warmen dunklen Stimme, und weil sie um diese Zeit ohnehin nichts mehr unternehmen konnten, hatte er sie in sein Auto verfrachtet und nach Hause gefahren.
Der Abschied in der Gartenstraße verlief knapp. Bruno hatte heute Abend seltsam unbeteiligt gewirkt. Vielleicht verließ er sich einfach auf ihre psychologische Sachkenntnis, um die Situation in den Griff zu bekommen. Nachdem er das Fenster notdürftig repariert hatte und die angeforderten Polizisten eingetroffen waren, um Spuren zu sichern und einen Haufen nutzloser Fragen zu stellen, statt auf die Suche nach dem Geländewagen und seinen Insassen zu gehen, hatte er einfach nur dagestanden, in Gedanken vertieft.
Immerhin bot Bruno ihr an, sich um die Rückführung und die Reparatur ihres Autos zu kümmern. Nora bedankte sich für die Hilfe. Sie sah ihm nach, bis sein Wagen auf die Europabrücke abbog, dann wechselte sie die Straßenseite und schloss die Haustür auf. An den Briefkästen machte sie Halt, um die Post mit nach oben zu nehmen. Als sie die ersten Treppenstufen nahm, ertönte eine Klingel, dann der Summer, jemand stieß die Haustür auf, und als sie im ersten Stock ankam, hörte sie unter sich die Treppe knarzen. In dem Moment, als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, wurde die Tür aufgerissen. Ceyda lächelte, dann sah sie überrascht drein.
»Nora, warum klingelst du, hast du keinen Schlüssel?«
»Das war ich«, ertönte eine Stimme hinter Nora. Es war Gideon Richter. Er hatte sich einen Dreitagebart stehen lassen, trug Sakko zu einem tief aufgeknöpften weißen Hemd mit großem Kragen und einer zerschlissenen Jeans über Bikerboots. Er sah unverschämt gut aus. Die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln machten ihn älter, aber sie betonten auch sein maskulines Erscheinungsbild.
»Gitte?«
Er fasste sich verlegen ans Kinn. »Ich … äh … Ceyda und ich sind verabredet.«
Nun bemerkte Nora auch, dass Gideons Lächeln nicht ihr galt. Sie blickte fragend zwischen Ceyda und Gideon hin und her. »Um diese Zeit?«
Ihre Mitbewohnerin zuckte unschuldig die Schultern. Dann schnappte sie sich ihre schwarze Lederjacke und huschte an Nora vorbei zum Treppenabsatz.
»Im Kühlschrank ist noch Börek von meiner Oma, falls du Lust hast. Wir sehen uns wahrscheinlich heute nicht mehr.«
Ceyda warf ihr einen raschen Blick über die Schulter zu. Ihr Lächeln war voller Vorfreude. Nora zwang sich, das Lächeln zu erwidern, auch wenn es sie Kraft kostete. Als sie aus dem Augenwinkel sah, wie Gideon auf dem Weg die Treppe hinunter Ceydas Hand nahm, versetzte es ihr einen Stich. Irgendwie hatten es die beiden wohl doch geschafft – völlig an Nora vorbei –, in den letzten turbulenten Tagen zueinanderzufinden.
Freitag, 15. November
Drei.
Als wären sie wie Affen von den Bäumen gefallen, stehen drei Männer plötzlich vor Lefeber und dem Fahrrad, das er auf den Sattel gestellt hat, um die Kette zu ölen. Breitbeinig stehen sie da und reden mit einem frechen Grinsen im Gesicht auf Lefeber ein. Rosen kann nicht hören, was sie sagen, aber die angriffslustige Stimmung spürt er überdeutlich.
Die Männer reden viel, von Satz zu Satz werden sie lauter, Lefebers Antworten bleiben dagegen knapp.
Einer der drei hat eine Platte, die beiden anderen sehen ganz normal aus, beinahe adrett. Nur der Stock, mit dem einer der Besucher herumspielt, ist ein Prügel, der einem Angst einjagen kann.
Die Polizisten hocken seelenruhig in ihren Autos, keine dreißig Meter entfernt. Endlich steigt einer von ihnen aus; er geht zu der Gruppe, parliert, man schüttelt den Kopf, dann zieht er sich wieder zurück.
Ein Stück weiter haben sich die Zeitungs- und Fernsehleute postiert. Wie gigantische stielartige Insektenaugen wirken ihre rund um die Uhr auf das Haus und seine Bewohner gerichteten Objektive.
Rosen hat vor Ewigkeiten im Fernsehen einen Dokumentarfilm über Hyänen gesehen. Wie sie geduldig ihr Opfer umkreisen, bis es zu schwach ist, um sich zu wehren. Und es dann bei lebendigem Leib in Stücke zu reißen. Eine Orgie aus Blut und
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