Die volle Wahrheit
Er richtete einen hilflosen Blick auf William, der nur hinzufügen konnte:
»Hier wurden früher Schaukelpferde hergestellt.«
»Im Ernst? Ich war immer der Meinung, dass Schaukelpferde etwas Unheilvolles an sich haben«, meinte Lord Vetinari, aber er wirkte ein wenig enttäuscht. Dann erhellte sich seine Miene, und er deutete auf den großen Stein mit den Drucktypen.
»Aha«, sagte er. »Voller Unschuld aus den überwucherten Ruinen eines megalithischen Steinkreises entwendet, nicht wahr? Bestimmt ist das Blut Tausender darüber hinweggeflossen, und zweifellos werden die Opfer früher oder später furchtbare Rache nehmen. So was passiert immer wieder.«
»Er wurde speziell für meinen Bruder aus dem Fels gehauen«, sagte Gunilla. »Und ich brauche mir solche Bemerkungen nicht gefallen zu lassen. Für wen hältst du dich, dass du hierher kommst und so einen Unsinn redest?«
William trat mit einem Bruchteil der Entsetzensgeschwindigkeit vor. »Darf ich Herrn Gutenhügel beiseite nehmen, um ihm ein oder zwei Dinge zu erklären?«, fragte er rasch.
Das freundliche, neugierige Lächeln des Patriziers blieb völlig unverändert.
»Welch eine gute Idee«, sagte er, als William den Zwerg in eine Ecke führte. »Später wird er dir sicher dafür danken.«
Lord Vetinari stützte sich weiter auf seinen Spazierstock und richtete einen Blick, der von wohlwollendem Interesse kündete, auf die Presse. Hinter ihm erläuterte William de Worde die politische Realität von Ankh-Morpork, besonders jene Aspekte davon, die plötzlichen Tod betrafen. Er untermalte seine Ausführungen mit unmissverständlichen Gesten.
Nach dreißig Sekunden kehrte Gutenhügel zum Patrizier zurück, blieb vor ihm stehen und hakte die Daumen hinter den Gürtel. »Ich rede so, wie es mir passt«, sagte er. »So war es immer, und so wird’s immer sein…«
»Du willst also kein Blatt vor den Mund nehmen?«, fragte Lord Vetinari.
»Warum sollte ich irgendwelche Blätter vor den Mund nehmen?«, erwiderte Gutenhügel verwirrt. »Wir legen sie in die Presse, um sie zu bedrucken.«
»Ja«, sagte Lord Vetinari. »Ja, das dachte ich mir.«
»Der junge William hier hat dich als einen erbarmungslosen Despoten bezeichnet, der dem Drucken sehr kritisch gegenübersteht. Aber ich halte dich für einen gerechten Mann, der einen ehrlichen Zwerg bestimmt nicht daran hindern möchte, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
Auch diesmal blieb Lord Vetinaris Lächeln unverändert. »Wenn du einen Moment Zeit für mich hättest, Herr de Worde…«
Der Patrizier legte William freundschaftlich den Arm um die Schultern und führte ihn langsam fort von den zuschauenden Zwergen. »Ich habe nur darauf hingewiesen, dass dich manche Leute…«, begann William.
»Nun«, sagte der Patrizier und winkte Williams Worte beiseite, »vielleicht könnte ich mich ungeachtet meiner Erfahrungen davon überzeugen lassen, dass wir es hier mit Bestrebungen zu tun haben, die nicht unbedingt zu okkultem Unfug in den Straßen der Stadt führen. In Ankh-Morpork kann man sich so etwas kaum vorstellen, aber ich bin bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Deshalb glaube ich, dass man die Frage des ›Druckens‹ einer natürlichen Prüfung unterziehen sollte.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja. Was bedeutet, dass ich deinen Freunden erlaube, mit ihrer Torheit fortzufahren.«
»Äh, es sind nicht direkt…«, begann William.
» Natürlich sollte ich hinzufügen, dass ich dich persönlich zur Verantwortung ziehen werde, wenn sich irgendwelche Tentakelprobleme ergeben.«
»Mich? Aber ich…«
»Ah. Glaubst du, dass ich ungerecht bin, vielleicht auch erbarmungslos despotisch?«
»Nun, ich, äh…«
»Die Zwerge sind, abgesehen von allem anderen, eine hart arbeitende und sehr nützliche ethnische Gruppe in dieser Stadt«, sagte der Patrizier. »Angesichts der ungeklärten Situation in Überwald und der ganzen Muntab-Frage möchte ich derzeit selbst geringe Probleme mit ihnen vermeiden.«
»Wo ist Muntab?«, fragte William.
»Genau. Übrigens, wie geht es Lord de Worde? Du solltest ihm öfter schreiben.«
William schwieg.
»Ich finde es immer sehr schade, wenn Familien auseinander brechen«, sagte Lord Vetinari. »Es gibt einfach zu viel dummen Groll auf der Welt.« Er gab William einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Du sorgst dafür, dass die Druckerei ständig im Bereich des Umsichtigen, Besonnenen und Durchschaubaren bleibt. Hast du mich
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