Die volle Wahrheit
Dienste entsprechen-
der Personen zurückgegriffen. Soweit sich William erinnern konnte,
hatte Lord de Worde nie große Begeisterung für Dinge gezeigt, bei de-
nen man andere Leute berühren musste.
Wie dem auch sei: William hielt sich für untalentiert, wenn es darum
ging, etwas zu erfinden. Wenn er etwas sagte, das nicht der Wahrheit
entsprach, kam es früher oder später immer ans Licht, meistens früher.
Selbst kleine Notlügen in der Art von »Am Ende der Woche habe ich
das Geld ganz bestimmt« führten immer zu Ärger. So etwas war »Ge-
schichten erzählen«, eine Sünde im De-Worde-Kompendium, etwas,
das schlimmer war als Lügen: der Versuch, Lügen interessant zu machen.
Deshalb sagte William de Worde die Wahrheit, aus einer Art kosmi-
scher Notwehr heraus. Er hatte festgestellt, dass eine schwierige Wahr-
heit weniger schwer war als eine leichte Lüge.
In der »Geflickten Trommel« hatte ein recht interessanter Kampf
stattgefunden, und Williams Beschreibung – mit der er recht zufrieden
war – lautete: »Woraufhin Brezock der Barbar einen Tisch hob und
Moltin dem Räuber einen Schlag versetzte, der seinerseits nach dem
Kronleuchter griff, sich daran hin und her schwang und rief: ›Nimm
das, du verdammter B*st*rd, der du bist!!!‹ Diese Bemerkung führte zu
einem Krawal , bei dem 5 oder 6 Personen verletzt wurden.«
Er nahm den Text mit zum Eimer .
Gunilla las ihn interessiert. Innerhalb kurzer Zeit wählten die Zwerge
die richtigen Drucktypen aus und setzten sie zusammen.
Wie seltsam…
Als der Text gedruckt war, als er fein säuberlich und mit regelmäßigen
Lettern auf dem Papier stand… da schien al es realer zu sein.
Boddony – in der Druckerhierarchie schien er an zweiter Stelle zu
kommen – blickte über Gutenhügels Schulter hinweg auf die Textspal-
ten.
»Hmm«, sagte er.
»Was hältst du davon?«, fragte William.
»Sieht ein bisschen… langweilig aus«, meinte der Zwerg. »All die
Buchstaben auf einem Haufen. Wie in einem Buch.«
»Nun, das ist doch richtig, oder?«, fragte William. Es schien alles in
Ordnung zu sein, wenn etwas wie ein Buch aussah.
»Viel eicht wäre es besser, die Worte mehr zu spationieren?«, fragte
Gunilla.
William sah auf die gedruckte Seite. Eine Idee wuchs in ihm, schien
direkt von der Seite zu kommen.
»Wie wär’s, wenn wir jedem Abschnitt eine kleine Überschrift geben?«
Er griff nach einem Zettel und kritzelte: 5/6 bei Krawall in Taverne
verletzt.
Boddony las die Worte. »Ja«, sagte er schließlich. »Das klingt… ganz
gut.« Er reichte das Blatt über den Tisch.
»Wie nennst du deinen Nachrichtenbrief?«, fragte er.
»Oh, er hat keinen Namen«, erwiderte William.
»Du sol test ihn irgendwie benennen«, sagte Boddony. »Was schreibst
du ganz oben hin?«
»Meistens etwas in der Art von ›An meine ehrenwerten Kunden…‹«,
begann William. Boddony schüttelte den Kopf.
»Das taugt nichts«, sagte er. »Ich rate dir zu einem al gemeinen Titel,
der sich dem Leser sofort einprägt.«
»Wie wäre es mit ›Ankh-Morpork Neuigkeiten und Item‹?«, meinte
William. »Tut mir Leid, aber mit Namen bin ich nicht besonders gut.«
Gunilla zog seine kleine Tragmulde aus der Schürze und wählte einige
Typen aus den Kästen auf dem Tisch. Er schraubte sie zusammen, be-
feuchtete sie mit Tinte und rol te ein Blatt Papier über sie hinweg.
William las: Ankh-Morpork tImes und Neuigkeiten.
»Oh, das ist durcheinander geraten«, brummte Gunilla. »Hab nicht
richtig aufgepasst.« Er griff nach den Drucktypen, um den Fehler zu
korrigieren. William zog die Hand des Zwergs zurück.
»Ich weiß nicht«, sagte er und fühlte eine neuerliche Inspiration. »Äh.
Lass ›und Neuigkeiten‹ weg und mach aus dem großen I ein kleines und
aus dem kleinen t ein großes.«
»Das wär’s«, sagte Gunilla. »Alles fertig. Wie viele Kopien möchtest
du?«
»Äh… zwanzig? Dreißig?«
»Was hältst du von zweihundert?« Gunilla nickte den Zwergen zu, die
sich sofort an die Arbeit machten. »Es lohnt sich kaum, die Presse für
weniger Exemplare zu benutzen.«
»Meine Güte! Bestimmt gibt es in der Stadt nicht so viele Leute, die
fünf Dollar dafür bezahlen würden!«
»Na schön, dann verlang einen halben Dol ar. Das wären fünfzig Dol-
lar für uns und fünfzig für dich.«
»Lieber Himmel! Im Ernst?« William starrte den strahlenden Zwerg
an. »Aber ich muss die einzelnen Exemplare verkaufen. Sie sind
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