Die volle Wahrheit
mit der Herstellung einiger Dutzend al gemeiner Briefe
zu beauftragen, bei denen er nur einige wenige leere Stel en ausfüllen
musste, um sie zu vervollständigen und individuell wirken zu lassen.
Überal in den Bergen freuten sich stolze Zwergeneltern über Briefe,
die etwa so aussahen:
Liebe/r [Mutter und Fater]
Nun, ich binne gut angekommen, und meine Adresse lautet: [Unbe-
sonnenheitsstraße 9, Schatten, Ankh-Morpork] . Alles isset gut. Ich
habe einen guten Dschob und arbeite für [Herrn T. M. S. I. D. R.
Schnapper, wagemutiger Geschäftsmann] , und sicher dauert es
nicht mehr lange, bis ich einen Haufen Gelt verdiene. Ich erinnere mich
an al e eurige guten Ratschläge und trinke nicht und treibe mich auch
nicht in Kneipen herum und pflegige keinen Umgang mit Trollen. Nun
das wär’s auch schon, ich musse jetzt Schluss machen, freue mich sehr
darauf, dich und [Emilia] baldigst wiederzusehen, euer euch liebender Sohn.
[Thomas Bruchbraue]
… der für gewöhnlich schwankte, wenn er diesen Brief diktierte. Es
waren leicht verdiente zwanzig Ankh-Morpork-Cent. Als zusätzliche
Dienstleistung passte Wil iam die Schreibweise dem Auftraggeber an
und ermöglichte es seinen Kunden, selbst über die Interpunktion zu
entscheiden.
An diesem besonderen Abend, während draußen Schneeregen in den
Abflussrohren gluckerte, saß William in seinem kleinen Büro über der
Gilde der Beschwörer und schrieb sorgfältig. Mit halbem Ohr lauschte
er dem hoffnungslosen, aber sehr gewissenhaften Katechismus der Gil-
denschüler, die ein Zimmer weiter unten am Abendunterricht teilnah-
men.
»Achtung, aufgepasst. Seid ihr soweit? Na schön. Ei. Glas…«
»Ei. Glas«, wiederholte die Klasse lustlos.
»… Glas. Ei…«
»Glas. Ei…«
»… Magisches Wort…«
»Magisches Wort…«
»Fazamm. Einfach so. Ahahahahaha…«
»Faz-amm. Einfach so. Aha-ha-ha-ha-ha…«
William griff nach einem weiteren Blatt Papier, spitzte einen neuen
Federkiel, blickte einige Sekunden lang an die Wand und schrieb dies:
»Und schließlich noch ein amüsanter Hinweis. Es heißt, die Zwerge
könnten Blei in Gold verwandeln, doch kennt niemand den Ur-
sprung dieses Gerüchts, und Zwergen, die in der Stadt ihren recht-
mäßigen Angelegenheiten nachgehen, ruft man Bemerkungen zu
wie: ›Holla, Knirps, zeig uns mal, wie du etwas in Gold verwandelst!‹
Al erdings lassen sich nur Neuankömmlinge dazu hinreißen, denn in
dieser Stadt wissen alle, was passiert, wenn man einen Zwerg
›Knirps‹ nennt.
Dein ergebener Diener, William de Worde«.
Er legte immer Wert darauf, seine Briefe mit einem vergnüglichen
Hinweis zu beenden.
William griff nach einem Stück Buchsbaumholz, zündete eine weitere
Kerze an und legte den Brief mit der Vorderseite nach unten auf das
Holz. Rasches Reiben mit der Rückseite eines Löffels übertrug die Tin-
te – dreißig Dol ar und genug Feigen, um es einem richtig schlecht wer-
den zu lassen, waren bereits so gut wie auf der Bank.
Noch an diesem Abend wol te er das Buchsbaumholz zu Herrn
Kratzgut bringen und die Drucke morgen nach einem großzügigen
Mittagessen abholen. Mit ein wenig Glück hatte er bis zur Mitte der
Woche alle Briefe abgeschickt.
William streifte den Mantel über, wickelte das Holzstück vorsichtig in
Wachspapier und trat in die kalte Nacht hinaus.
Die Welt besteht aus vier Elementen: Erde, Luft, Feuer und Wasser.
Das ist allgemein bekannt, und selbst Korporal Nobbs weiß darüber
Bescheid. Aber es stimmt nicht. Es gibt auch noch ein fünftes Element
– meistens nennt man es Überraschung.
Zum Beispiel konnten die Zwerge tatsächlich Blei in Gold verwan-
deln, allerdings auf die schwierige Weise. Der Unterschied zwischen der
leichten und schwierigen Methode besteht darin, dass die schwierige
funktioniert.
Die Zwerge schoben ihren überladenen, knarrenden Karren über die
Straße und spähten durch den Nebel. Eis formte sich am Wagen und an
Bärten.
Jetzt fehlte nur noch eine zugefrorene Pfütze.
Der gute alte Zufal . Auf ihn kann man sich verlassen.
Der Nebel wurde dichter, verwandelte jedes Licht in ein mattes Glühen
und dämpfte alle Geräusche. Feldwebel Colon und Korporal Nobbs
zweifelten kaum daran, dass es keine barbarischen Horden gab, deren
Reisepläne in dieser Nacht die Eroberung von Ankh-Morpork vorsa-
hen. Die Wächter konnten es ihnen nicht verdenken.
Sie schlossen das Tor. Das war keineswegs eine bedrohliche oder
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